Welche Positionen vertreten Parteien wirklich? – Das Manifesto-Projekt stellt sich vor

Eine der zentralsten, spannendsten und grundlegendsten Aufgaben der Parteienforschung besteht in der Analyse der Positionen, die Parteien zu unterschiedlichen politischen Themen und Politikfeldern einnehmen. Auf Basis dieser Positionen lässt sich ermitteln, welche Absichten Parteien verfolgen, ob sie entsprechend handeln und inwiefern sie die Interessen der Bürger vertreten. Zwar haben politisch informierte Bürger und Politikwissenschaftler möglicherweise eine rechte gute Kenntnis dieser Parteipositionen, jedoch beruht diese nicht nur auf dem was Parteien direkt kommunizieren, sondern ebenso auf subjektiven Einschätzungen und Vorlieben sowie der medialen Darstellung der Partei.

Das Manifesto-Projekt (früher CMP) ist das älteste und umfangreichste Unterfangen, Parteipositionen auf präzise und objektive Weise zu erfassen. Statt der Nutzung von individuellen und subjektiven Einschätzungen durch Experten, analysiert das Manifesto Projekt seit Ende der 70er Jahre die Parteipositionen auf Grundlage der formalisiertesten und vollständigsten Dokumente, die Parteien publizieren: der Wahlprogramme. Speziell ausgebildete Coder lesen diese Dokumente, unterteilen sie in eigenständige politische Aussagen und ordnen jede dieser Aussagen in eine von 56 vom Projekt vordefinierten Positionskategorien ein. Diese Kategorien decken ein breites Spektrum politischer Themen ab und reichen von Außen- und Wirtschaftspolitik hin zu Sozialstaats- und Bildungspolitik. Für jedes Wahlprogramm werden die Anzahl aller Aussagen im Dokument sowie die Häufigkeit der jeweiligen Kategorien gezählt, woraus schließlich die thematische Gewichtung des Programms berechnet wird. So bedeutet beispielsweise ein Wert von 50 für die Kategorie „Ausbau des Wohlfahrtsstaates“, dass eine Partei 50% der Aussagen in ihrem Wahlprogramm diesem Thema widmet. Derzeit verfügt das Manifesto-Projekt über Parteipositionen aus 3611 Wahlprogrammen von 916 Parteien aus 629 Wahlen in 55 Ländern (OECD, EU sowie Zentral- und Osteuropa).

Diese Daten erlauben die Beantwortung von zahlreichen Fragen: Welche Parteien favorisieren eine Ausweitung oder Einschränkung des Sozialstaats? Welche Parteien sprechen sich für eine uneingeschränkt freie Marktwirtschaft aus, welche dafür, dass der Staat Teile der Wirtschaft kontrolliert? Welche Parteien stehen für die Integration von Immigranten und welche fordern deren Assimilation? Die Liste möglicher Fragen ist lang. Abgesehen von solchen spezifischen Positionsfragen können Parteien jedoch auch auf einer allgemeinen Links-Rechts-Skala verglichen werden. Aus diesem Grund beinhaltet der Datensatz des Manifesto Projekts für jedes Wahlprogramm eine standardisierte Position auf dieser Links-Rechts-Achse (der sogenannte RILE-Wert). Die Entwicklung dieser Links-Rechts-Werte für die momentan im Bundestag vertretenen Parteien zwischen 1990 und 2009 seht ihr in der Abbildung.

 

Abbildung 1: Links-Rechts-Werte der momentan im Bundestag vertretenen Parteien, 1990-2009

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Dieser Wert wird berechnet, indem der Anteil an Aussagen zu rechten Themen und der Anteil an Aussagen zu linken Themen voneinander abgezogen werden. Die dahinterliegende Annahme ist, dass linke Parteien linke Themen (Soziale Gerechtigkeit, Ausbau des Wohlfahrtsstaates, militärische Abrüstung etc.) betonen, während  rechte Parteien auf rechte Themen fokussieren (Freie Marktwirtschaft, Law & Order Politik, Begrenzung des Wohlfahrtsstaates etc.). Eine Partei, welche ausschließlich linke Themen betont hat einen Links-Rechts-Wert von -100, eine Partei welche ausschließlich rechte Themen anspricht einen Wert von +100. Parteien welche gleichermaßen linke und rechte Aussagen machen, haben einen Wert von 0. Die Grafik veranschaulicht die Veränderung der Links-Rechts-Positionierung der fünf Bundestagsparteien seit der Wiedervereinigung. Momentan werden die Wahlprogramme der Bundestagswahl 2013 kodiert und wir freuen uns, sehr bald Details zu ihren Inhalten präsentieren zu können. Stay tuned!

8 Gedanken zu „Welche Positionen vertreten Parteien wirklich? – Das Manifesto-Projekt stellt sich vor

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