Die dritte Welle der Demokratisierung oder – die erste Welle der Hybridisierung?

In Portugal begann bekanntermaßen im Jahre 1974 mit der Nelkenrevolution, was Samuel Huntington spĂ€ter die „dritte Welle der Demokratisierung“ nannte. Spanien und Griechenland folgten, in den 1980ern schwappte die Welle nach Lateinamerika, SĂŒdostasien, erfasste einige Staaten Afrikas und brach schließlich ab 1989 krachend ĂŒber den sozialistischen LĂ€ndern Osteuropas und der frĂŒheren Sowjetunion. Es war eine lange Welle – die Rede war sogar vom Ende der Geschichte.

Das stimmte viele Beobachter zuversichtlich. Schon bald regte sich jedoch ein Verdacht: Nicht alles, was da so glĂ€nzte, war Gold. Viele – wenn nicht die meisten – der neuen Demokratien waren im besten Fall defekte Demokratien ((Wolfgang Merkel, Hans-JĂŒrgen Puhle, Aurel Croissant et al.: Defekte Demokratien. Bd. 1: Theorien. Leske + Budrich, Opladen 2003)). Das bedeutet: Es werden zwar freie und faire Wahlen abgehalten, Rechtstaatlichkeit, Gewaltenkontrolle und bĂŒrgerliche Freiheiten liegen aber im Argen.

Erschwerend kommt hinzu, dass eine Reihe weiterer LĂ€nder, die beileibe nicht demokratisch genannt werden können, im Zuge der dritten Welle ebenfalls Wahlen einfĂŒhrten. (Manche wurden anfange fĂ€lschlich fĂŒr Demokratie gehalten.) WĂ€hrend Diktatoren in den 1970er Jahren noch Junta-GenerĂ€le oder FĂŒhrer von Einheitsparteien waren, so lassen sie sich heute vermehrt wĂ€hlen. Doch diese Wahlen haben in der Regel mit Demokratie nicht viel zu tun. Sie sind aber dennoch mehr als bloße Fassade: Sie formen autokratische Politik in fast genauso starkem Ausmaß wie demokratische. Die Wahlautokratie ((Andreas Schedler (Hg.) (2006): Electoral Authoritarianism. The Dynamics of Unfree Competition. Boulder, Colorado: Rienner.)) ist heute die am weitesten verbreitete Form undemokratischen Regierens.

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FĂŒr viele Leser sind diese Entwicklungen natĂŒrlich nicht neu. FĂŒr meine Doktorarbeit habe ich noch einmal nachgezĂ€hlt (siehe Abbildung oben). Dazu habe ich altbekannte Daten (Democracy & Dictatorship Dataset, Polity IV) mit neu verfĂŒgbaren kombiniert (Civil Liberties Dataset) und konnte so einigermaßen gesichert die Entwicklung seit 1946 nachzeichnen. Ich unterscheide fĂŒnf Regimetypen, von denen vier im weitesten Sinne elektoral sind: Sie halten formal Wahlen ab zur Bestellung sowohl der Exekutive als auch der Legislative. Nicht-elektorale Regime sind also diejenigen, die entweder eine nicht gewĂ€hlte Regierung oder ein nicht gewĂ€hltes (oder gar kein) Parlament haben. (Oder beides.) Danach folgen elektorale Einparteiregime, die Regierung und Parlament wĂ€hlen lassen, bei deren Wahl jedoch – der Name sagt es schon – nur eine Partei oder ein Kandidat zugelassen ist. (Üblicherweise werden diese beiden Gruppen in eine sogenannte ‚geschlossene‘ Kategorie zusammengefasst.) ‚Echte‘ Wahlautokratien sind dann diejenigen Regime, die mehr als einer Partei erlauben, Stimmen und Sitze zu gewinnen, die aber den Wettbewerb so systematisch verzerren, dass ein Sieg der Opposition (fast) ausgeschlossen bleibt. Die letzten beiden Kategorien sind Demokratien: Defekte Demokratien halten freie und faire Wahlen ab, weisen aber Defizite des Rechtstaats, der Gewaltenkontrolle und bei den BĂŒrgerrechten auf. Eingebettete Demokratien schließlich sind so wie wir sie uns wĂŒnschen: Freie Wahlen, Rechtstaat, Gewaltenkontrolle, BĂŒrgerrechte. (Daneben habe ich noch solche LĂ€nder erfasst, die man gemeinhin als failed states bezeichnet, bei denen also von einem Regime gar keine Rede sein kann.)

Was die Grafik deutlich zeigt: Defekte Demokratien und Wahlautokratien bestimmen heute die politische Weltkarte. Die beiden Regimetypen sind Formen hybrider Regime, die demokratische Institutionen (Wahlen) mit autokratischer Praxis verbinden. Huntingtons dritte Demokratisierungswelle stellt sich im Nachhinein als erste Hybridisierungswelle heraus.

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