Politische Repression im Sinne des systematischen Verstoßes gegen individuelle Abwehr- und politische Teilhaberechte ist nahezu ein definierendes Merkmal von Autokratien. Sofern autokratische Regierungen sich an der Macht halten wollen, müssen sie in der Lage sein, Dissidenten zu unterdrücken und Oppositionskräfte auszuschalten. Vor diesem Hintergrund avanciert politische Repression zu einem zentralen Instrument. Ob nun die Armee Myanmars die Demokratiebewegung des Jahres 1988 blutig niederschlug oder Alexander Lukaschenko oppositionelle Präsidentschaftskandidaten inhaftiert, die Intention ist stets dieselbe: Durch politische Repression erschweren Autokratien den Aufbau einer schlagkräftigen politischen Oppositionsbewegungen nachhaltig. In welchem Umfang aber greifen Autokratien tatsächlich auf politische Repression zurück, welche Entwicklungen sind über Zeit zu beobachten und wie wirkt sich politische Repression auf die Chance eines politischen Systemwechsels hin zur Demokratie aus? Diesen und eng verwandten Fragen geht das Projekt „Critical Junctures and the Survival of Dictatorships. Explaining the Stability of Autocratic Regimes“ am WZB nach.
Im Zuge dessen sind Menschenrechtsverletzungen in Autokratien ((Wir sprechen von einer Demokratie, wenn Mehrparteienwahlen zu legislativen und exekutiven Ämtern stattfinden und die Macht der Exekutive klaren Beschränkungen unterworfen ist. Autokratien scheitern an wenigstens einer dieser notwendigen Bedingungen. Es handelt sich also um eine leicht modifizierte Fassung der Autokratiedefinition von Cheibub, José Antonio; Gandhi, Jennifer; Vreeland, James (2010): Democracy and Dictatorship Revisited. In: Public Choice 143 (1/2), S. 67–101.)) von besonderem Interesse für die Forschungsarbeit unseres Projekts, welches in diesem Punkt an die traditionsreiche Forschung zur Verletzung des Rechts auf körperliche Unversehrtheit durch den Staat anknüpft. Laut dieser Forschungsrichtung verfahren Autokratien mit ihrer Bevölkerung je repressiver, umso häufiger ihre unmittelbaren Agenten, bspw. die Polizei, foltern und verschleppen, außergerichtliche Tötungen begehen oder politische Gefangene machen. Das Ergebnis solchen Handelns ist von zwei Seiten zu betrachten. So eliminieren außergerichtliche Tötungen, die ausdrücklichste Form des Verstoßes gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Individuen ein für alle Mal. Folglich entledigen sich Autokratien auf diesem Wege zum einen von Individuen, deren Verhalten sie für nicht tolerierbar erachten. Zum anderen kommunizieren autokratische Staaten der verbleibenden Bevölkerung, welche Folgen Nonkonformität haben kann und stellen ihre Kapazität unter Beweis, entsprechende Konsequenzen zu ziehen: Sie erzeugen Angst. Eben jenes Kalkül verfolgte Baschar al-Assad, als er im März 2011 erstmals in die Menge der Demonstrierenden schießen ließ. Für diese besondere Form physischen Zwangs durch den Staat prägte Myra Ferree die griffige Formel „hard repression“. ((Ferree, Myra M. (2004): Soft Repression. Ridicule, Stigma, and Silencing in Gender-Based Movements. In: Daniel J. Myers und Daniel M. Cress (Hg.): Authority in Contention: Emerald Group Publishing Limited (Research in Social Movements, Conflicts and Change, Volume 25), S. 85–101.))
Um das Ausmaß harter Repression in einer Autokratie zu bestimmen, stehen mehrere Quellen zu Verfügung, von denen die Political Terror Scale (PTS) sowie das CIRI Human Rights Dataset (CIRI) die wichtigsten darstellen. Beide beruhen auf dem Urteil von Länderexperten, welche mithilfe eines mehr oder weniger detaillierten Fragekatalogs jährlich einschätzen, ob die Regierung des jeweiligen Landes die Menschenrechte achtet. Maßgeblich ist hierbei die faktische Geltung der Menschenrechte, wie sie 1948 durch die Vereinten Nationen in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten wurden. Mithilfe der Angaben von PTS und CIRI entwickelten wir einen Index für die von uns erfassten 147 Autokratien, welcher die Informationen zu Folter, Verschleppung, außergerichtlichen Tötungen und politischen Gefangenen in einer einzigen Maßzahl zusammenführt. Für den Zeitraum von 1981 bis 2008 misst dieser Index den Umfang, zu dem autokratische Regierungen oder ihre unmittelbaren Agenten faktisch gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit verstoßen und folglich harte Repression ausüben. ((Im Kern handelt es sich um einen ungewichteten Durchschnitt beider Quellen, deren Vergleichbarkeit zuvor im Wege einer Min-Max-Skalierung hergestellt wurde. Im Vergleich zu den Einzelmessungen vermindert dieser Index den Einfluss von Messfehlern und erlaubt einen präziseren Blick auf empirische Gegebenheiten. Der Wertebereich des Index läuft von 0 bis 100, wobei höhere Werte ein höheres Ausmaß von harter Repression anzeigen. Zu beachten ist, dass die Min-Max-Skalierung sich jeweils am empirisch beobachteten Minimum bzw. Maximum eines Indikators orientiert. Ein Wert von 0 bedeutet deshalb nicht, dass es zu gar keinen Menschenrechtsverletzungen kam, sondern entspricht lediglich dem geringsten je beobachteten Messwert. In der Wahl des Skalierungsverfahrens folgen wir den Argumenten unserer Kollegen vom Demokratiebarometer.))
Wie dies im Einzelfall aussehen kann, verdeutlicht Abbildung 1. Sie zeigt die Messreihe für vier exemplarisch ausgewählte Autokratien von 1981 bis 2008. Es handelt sich um Ägypten und Syrien, über deren jüngste Entwicklung die Medien intensiv berichten, Zimbabwe, dessen autokratisches Einparteiregime noch die schlimmsten Krisen sicher überstand, und China, dessen Rechtsstaatsdialog mit Deutschland uns seit Jahren so sicher begleitet wie das Amen in der Kirche. Die durchgezogene Linie entspricht dem Verlauf des Index, die durchbrochene dem jeweiligen Landesmittel und die Punkte geben die einzelnen Messwerten wieder. Der Durchschnitt für Ägypten unter Husni Mubarak liegt bei ca. 55 Punkten, wobei Mitte der 1980er Jahre noch deutlich geringere Werte erreicht werden. Seitdem nimmt das Niveau harter Repression am Nil zu. Insbesondere die Terroranschläge der Jahre 1992/1993, der Auftakt des „Kriegs gegen den Terror“ 2001/2002 sowie die Wahlen des Jahres 2005 führen zu deutlichen Spitzen von über 60 Punkten. China vollzog bei höherem Ausgangsniveau eine ähnliche Aufwärtsbewegung. Bereits der Mittelwert liegt bei 68 Punkten und die Ereignisse auf dem Tian’anmen-Platz vom 4. Juni 1989 erreichen sogar die Marke von 100. Das heute im Bürgerkrieg versunkene Syrien erlebte gänzlich anderes. Zwar liegt der syrische Mittelwert von 66 Punkten bereits im oberen Drittel des Index, auf die Hama Massaker von 1981 und 1982 (je 100 Punkte) folgt jedoch eine Phase der Entspannung. Ab dem Jahr 2000 nehmen Menschenrechtsverletzungen durch die syrische Regierung wieder zu und Syrien erreicht 2008 schließlich 81 Punkte. Zimbabwe, welches Robert Mugabe zunächst als Premier und seit 1987 als Präsident regiert, zeigt ein ganz anderes Profil. Liegt der Messwert 1981 mit 19 noch weit unterhalb des Mittelwerts von 55 Punkten, so schnellt er in den Folgejahren hoch und erreicht 1985 sogar 94 Punkte. Danach fällt das Niveau harter Repression wieder und erst mit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise Ende der 1990er Jahre, den von Gewalt überschatteten Wahlen 2000 und 2002 sowie der von Mugabe initiierten systematischen Verfolgung politischer Opposition im ländlichen Raum ab 2005 steigt der Index sukzessive an. Mit den umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 2008 erreicht Zimbabwe schließlich die Marke von 100 Punkten. Zusammenfassend lässt die Grafik keinen Zweifel daran, dass sich Autokratien mit Blick auf das Ausmaß harter Repression zuweilen drastisch unterscheiden und darüber hinaus auch klare Trends aufweisen können.
Abbildung 2: Durchschnittliches Niveau harter Repression in Autokratien
Welche Entwicklung ist nun bezüglich harter Repression über alle Autokratien von 1981 bis 2008 zu beobachten? Hierüber informiert Abbildung 2. Sie zeigt den Mittelwert des Index zu harter Repression über alle Autokratien im jeweiligen Jahr des Beobachtungszeitraums. Die Punkte des Streudiagramms sind je größer, desto mehr Autokratien in einem Jahr beobachtet wurden. Außerdem ergänzt die Grafik den Jahresmittelwert um Konfidenzintervalle mit einer Fehlerwahrscheinlichkeit von 5 Prozent. Diese geben einen Eindruck von der Präzision des Durchschnittswertes, wobei breitere Intervalle auf eine geringere Präzision hinweisen. Die Grafik vermittelt den Eindruck einer wellenförmigen Aufwärtsbewegung des Ausmaßes harter Repression in Autokratien. Liegt der Durchschnitt des Jahres 1981 bei 40 Punkten, so springt dieser Wert 1990 auf ca. 50 Punkte, erreicht 1994 seinen höchsten Stand von etwa 56 Punkten und übersteigt 2007 nach einer leichten Abwärtsbewegung bis zum Beginn der 2000er Jahre erneut den Wert von 55 Punkten. Parallel dazu nimmt die Anzahl der beobachteten Autokratien deutlich ab. Ausgehend von rund 100 nicht-demokratischen Regierungen im Jahr 1981 gibt es 1990 nur noch etwa 80 und 2008 lediglich knapp 70. Alle anderen schafften den Übergang in die Demokratie. Abbildung 2 zeigt somit, dass das mittlere Niveau harter Repression in Autokratien zunimmt, während deren tatsächliche Anzahl stetig fällt.
Diese Beobachtung deckt sich mit einer Reihe anderer Beiträge der Forschung und ist erklärungsbedürftig. So könnte es sich einerseits um einen waschechten Trend im Lager der Autokratien handeln, die im Wettbewerb mit der Demokratie zu immer ruchloseren Mitteln greifen, um ihren Machtanspruch zu sichern. Eine andere mögliche Erklärung besagt, dass insbesondere diejenigen Autokratien für eine Transition zur Demokratie anfällig sind, welche den Hebel harter Repression nur zögerlich umlegen. Infolgedessen würde sich über Zeit ein harter Kern von Autokratien herausschälen, welche hinreichend skrupellos sind, um ihre Herrschaft dauerhaft auf den Boden von Folter, Mord und Verschleppung zu stellen. Doch dazu bald mehr!
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