Kurz vor der Bundestagswahl am nächsten Sonntag wird in vielen Medien über die erwartete steigende Zahl der Nichtwähler diskutiert. Eine immer wieder erwähnte Begründung für das Desinteresse der Bevölkerung an den Wahlen ist die Annahme, dass sich die Programmatiken der Parteien kaum voneinander unterscheiden. Aber stimmt diese Annahme? Die in der Regel umfangreichste Zusammenfassung der Programmatik findet sich in den Wahlprogrammen der Parteien. Eine Analyse dieser Programme für die Bundestagswahl 2013 zeigt, dass der politische Wettbewerb in Deutschland gar nicht so grau ist und die Parteien sich in vielen Themen deutlich voneinander unterscheiden.
Wie bereits in einem
vorangegangenen Artikel auf diesem Blog beschrieben, widmet sich das Manifesto Projekt schon seit vielen Jahren der Aufgabe, diese Wahlprogramme genauer zu analysieren. So haben wir uns auch jetzt die Wahlprogramme der fünf Parteien, die zurzeit die aussichtsreichsten Chancen haben (erneut) in den Bundestag einzuziehen, angesehen. Auf Grundlage der ersten Ergebnisse können wir Aussagen darüber machen, welche Themen den einzelnen Parteien besonders am Herzen liegen und wo sich die Parteien anhand ihrer Versprechen auf einer wirtschaftspolitischen und einer gesellschaftspolitischen Dimension einordnen lassen. Damit können wir zeigen welche Gemeinsamkeiten es zwischen den Parteien gibt, aber auch wo es zu Unterschieden kommt.
Grafik 1: Verschiebungen der Parteipositionen in Wahlprogrammen von 2009 zu 2013
Die erste Graphik zeigt uns, wo sich die Parteien auf Grundlage ihrer Aussagen in den Wahlprogrammen auf den zwei genannten Dimensionen einordnen lassen. Auf der horizontalen Achse ist abgetragen, wo die Parteien sich in wirtschaftlichen Fragen einordnen. Der linke Endpunkt (-100) steht für die Extremform staatlich gelenkter Wirtschaft. Der rechte Endpunkte der Achse (+100) steht für eine Position, die den vollkommenen Rückzug des Staates aus dem Markt und somit eine nur durch Marktmechanismen gelenkte Wirtschaft betont.
Keine der hier gezeigten deutschen Parteien vertritt in dieser Frage diese Extrempositionen. Dennoch zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen ihnen. Es sind klar zwei Lager erkennbar: auf der rechten Seite stehen die Unionsparteien und die FDP, während auf der linken Seite SPD, GRÜNE und LINKE positioniert sind. Bei der vergangenen Bundestagswahl waren die beiden Lager auf dieser Dimension allerdings deutlicher voneinander getrennt als 2013. Außerdem ist erkennbar, dass mit Ausnahme der FDP alle Parteien auf dieser Dimension seit 2009 nach links gewandert sind. Auch fällt auf, dass die FDP in Wirtschaftsfragen weiter rechts einzuordnen ist als die CDU/CSU.
Die vertikale Achse zeigt, wo die Parteien sich in gesellschaftspolitischen Fragen einordnen lassen. Die hier kontrastierenden Weltbilder sind eine progressive versus konservative Vorstellung der Gesellschaftsordnung. Je weiter oben eine Partei auf dieser Achse platziert ist, desto konservativer ist ihre Position. Konservative Positionen sind beispielsweise die Befürwortung einer “Law-and-Order”-Politik oder traditionelle Positionen in moralisch-ethischen Fragen wie z.B. Abtreibung. Der Schutz der Umwelt, Frieden und soziale Gerechtigkeit gelten hingegen als progressive Positionen.
In gesellschaftspolitischen Fragen liegen SPD und FDP sehr nah beieinander, ebenso wie die GRÜNEN und die LINKE. Die CDU/CSU nimmt alleine die konservativste Position ein. Der Unterschied zwischen CDU/CSU zu SPD und FDP ist dabei allerdings fast genauso groß wie der von SPD und FDP zu GRÜNEN und LINKEN. Interessant ist ein Vergleich mit der 2009er Position aller Parteien. Auf der Wirtschaftsdimension haben wir gesehen, dass alle Parteien mit Ausnahme der FDP in den letzten vier Jahren nach links gewandert sind. Auf der gesellschaftspolitischen Dimension haben sie sich dagegen nach oben bewegt, also eine konservativere Position bezogen. Erneut ist es wieder die FDP, die dem Muster nicht folgt und sich in diesen Fragen fast gar nicht von ihrer 2009er Position entfernt hat.
Grafik 2: Kernthemen der Parteien bei der Bundestagswahl 2013
Neben der Analyse von Positionen auf abstrakten Dimensionen, können wir auch etwas über die Bedeutung von einzelnen Themen sagen. Dabei wird deutlich, dass die Parteien durchaus unterschiedliche Profile haben und verschiedene Schwerpunkte in ihren Programmen setzen. Grafik 2 zeigt welchen Anteil das jeweilige Thema im Wahlprogramm hat. Dabei ist die Grafik auf solche Themen beschränkt, bei denen es deutliche Unterschiede zwischen den Parteien gibt. Das heißt, dass die hier abgebildeten thematischen “Leuchttürme” der Parteien nicht zwangsläufig die Themen sind, die sie in ihren Programmen am meisten betonen. Stattdessen sind dies die Themen, bei denen sich die Parteien am stärksten voneinander unterscheiden. Hierbei wurden nur Themen einbezogen, die zumindest einer der Parteien wichtig genug sind, um ihnen 5% des Wahlprogramms zu widmen. Es lässt sich klar erkennen, dass die Parteien in ihren Programmen jene Themen betonen, mit denen wir sie auch sonst assoziieren.
CDU/CSU legen ganz besonderen Wert auf die Themen Technologie und Infrastruktur. Nicht nur, dass sie selbst in ihrem Programm keinem anderen Thema mehr Raum einräumen, auch im Vergleich zu den anderen Parteien betonen sie das Thema fast doppelt so stark wie FDP und SPD. Die weiteren Themen, mit denen sich CDU/CSU von den anderen Parteien abgrenzen, sind der Ausbau des Bildungssystems sowie die Betonung der inneren Sicherheit. Die innere Sicherheit sticht dabei deutlicher hervor. Der Bildungsausbau wird zwar von der CDU/CSU am stärksten thematisiert, die SPD hat hier aber auch einen klaren Schwerpunkt.
Auch bei der FDP kristallisieren sich drei Themen heraus, die ihr mehr am Herzen liegen als den anderen Parteien. Dies ist zum einen Freiheit und Menschenrechte, deren Betonung im FDP Programm im Vergleich zu den anderen Parteien beispiellos ist. Zweitens betonen sie ihre Befürwortung einer effizienten Verwaltung und Regierung; hier ist der Unterschied zu den anderen Parteien sogar noch größer. Das dritte Thema, mit dem sich die FDP eindeutig von den anderen Parteien abgrenzt, ist die Wichtigkeit der Reduktion des Haushaltsdefizites und eine stabile Währung.
Die SPD thematisiert zwei Themen stärker als die anderen Parteien. Dies ist zunächst der Ausbau des Wohlfahrtsstaates — mit 10% Anteil am SPD Wahlprogramm nicht nur im Vergleich zu den anderen Parteien ein Leuchtturm, sondern auch innerhalb des SPD Programms das Thema mit der stärksten Betonung. Auch für die LINKE und die GRÜNEN ist dies ein wichtiges Thema, allerdings betonen sie es etwas weniger als die SPD. Marktregulierung ist das zweite Thema, dass die SPD im Vergleich zu den anderen Parteien stärker besetzt.
Bei den GRÜNEN findet sich nur ein Thema, das die GRÜNEN eindeutig für sich in Anspruch nehmen. Nicht erstaunlich ist, dass dies der Umweltschutz ist – das grüne Thema schlechthin. Es nimmt im GRÜNEN Wahlprogramm einen viel größeren Raum ein als in jedem der anderen Programme. Dass sich bei den GRÜNEN nur ein Leuchtturm finden lässt, heißt selbstverständlich nicht, dass sie nicht auch andere Themen betonen. Allerdings gibt es bei allen weiteren Themen immer noch eine andere Partei, die diese Themen noch mehr betont. So ist das Thema, dem die GRÜNEN den größten Raum in ihrem Wahlprogramm einräumen nicht der Umweltschutz sondern die soziale Gerechtigkeit. Da die LINKE dieses Thema aber sehr stark besetzt, laufen sie den GRÜNEN hier den Rang ab.
Damit sind wir bereits bei den Themen, die das LINKE Wahlprogramm im Vergleich besonders prägen. Dies sind die bereits erwähnte soziale Gerechtigkeit, die Arbeitnehmer und schließlich die Demokratie. Das Thema Demokratie betont die LINKE ebenfalls knapp mehr als die GRÜNEN. Arbeitnehmer spielen auch im Programm der SPD eine stärkere Rolle, der Unterschied zur LINKEN ist hier aber klarer zu erkennen.
Zusammenfassend können wir festhalten, dass die Parteien bei der Bundestagswahl 2013 unterschiedliche Positionen vertreten und klar unterscheidbare programmatische Profile haben – zumindest in ihren Wahlprogrammen.
Anhang: Datensatz als xls-Datei
Sehr geehrte Damen und Herren,
eine sehr interessante Analyse. Erlauben Sie mir, Sie auf ein kleines Projekt hinzuweisen. Ich habe die Wahlprogramme der Parteien linguistisch annotiert und die entstandenen Textcorpora anschließend statistisch analysiert und visualisiert:
Computerlinguistische Analyse der Wahlprogramme 2013
– zu finden unter:
http://www.thomas-zastrow.de/wahl13/
Die Ergebnisse entsprechen größtenteils den Ihrigen, die Methodik ist allerdings eine etwas andere.
Mit freundlichen Grüßen,
Thomas Zastrow