Ein Gastbeitrag von Anne-Marie Kortas, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung Ungleichheit und Sozialpolitik am WZB.
Fast täglich wird in der deutschen Presse über die weltweiten Flüchtlingsströme geschrieben. In regelmäßigen Abständen kommen Berichte über Bootskatastrophen hinzu, wie z.B. am 11. Juli diesen Jahres, als 30 Menschen bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenland vor der Insel Samos starben ((http://www.unhcr.gr/nea/artikel/e48fdd2bc44a1f1fbf3e41b06f4e9531/death-toll-rising-in-the-aegean-as-r.html?L=rerrqqigetmduzbf)). Diesen Berichten folgen in der Regel Erklärungen verschiedenster Regierungssprecher, in denen Sie erläutern, dass diese Unfälle wahre Katastrophen sind und mehr Unterstützung für die Flüchtlinge erfolgen müsse. Dies bedeutet jedoch in den seltensten Fällen eine Änderung der nationalen Politik, sondern eher das Verstärken der Grenzkontrollen und die Abschottung Europas. Auf diese Weise wurden zwischen 2007 und 2013 insgesamt 207 Million Euro für die Absicherung der Außengrenzen in Griechenland ausgegeben, aber nur 21 Million Euro gingen in einen Fonds, der den Umgang mit Flüchtlingen verbessern soll ((Amnesty International (2014). The Human Cost of Fortress Europe – Human Rights Violations against Migrants and Refugees at Europe’s Borders, S. 10)). Die griechischen Verhältnisse sind jedoch so prekär, dass 2013 der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Überstellung von Asylbewerbern nach Griechenland als Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention bestätigt hat ((http://www.humanrightseurope.org/2013/08/court-greece%E2%80%99s-treatment-of-asylum-seeker-breached-human-rights-law/)). Ein Umdenken der Politik – sowohl auf griechischer, als auch auf europäischer Ebene – ist daher notwendig.
Aber gehen wir erstmal einen Schritt zurück. Ende 2013 befanden sich 73.027 Flüchtlinge, Asylsuchende oder Menschen in einer flüchtlingsähnlichen Situation in Griechenland ((UNHCR (2014). UNHCR Global Trends 2013. War’s Human Cost)). Einige irregulär Einreisende hoffen primär auf eine Verbesserung ihrer wirtschaftlichen Lage, aber ein Großteil flieht vor Krisen und Konflikten in ihren Heimatländern. Mehr als die Hälfte aller Flüchtlinge weltweit kommen aus Afghanistan, Syrien und Somalia ((UNHCR (2014). UNHCR Global Trends 2013. War’s Human Cost)). Diese Menschen werden verfolgt oder kommen aus Krisenländern, weshalb sie laut der Genfer Konvention von 1951 das Recht auf internationalen Schutz besitzen. Anstatt Schutz zu erfahren, werden sie in Griechenland systematisch inhaftiert und inhuman behandelt. Von der traurigen Realität konnte ich mir durch eine Studienreise mit Geneva International Model United Nations (GIMUN), welche mich nach Athen und auf die Insel Lesbos brachte, einen Einblick verschaffen. ((Viele der Informationen, welche unten gegeben werden, basieren auf Interviews während der Studienreise.))
Lesbos spielt eine besondere Rolle in der griechischen Flüchtlingsgeschichte, denn nachdem 2012 ein Grenzzaun zwischen der Türkisch-Griechischen Grenze gezogen wurde, verzwanzigfachten sich die Ankünfte auf den Inseln ((Amnesty International (2014). The Human Cost of Fortress Europe – Human Rights Violations against Migrants and Refugees at Europe’s Borders)). Viele der Ankommenden werden von der Polizei aufgegriffen und kommen in sogenannte Erstauffanglager, die eher einem Gefängnis ähneln und in denen Frontex und NGOs sich ein erstes Bild von den Menschen machen. Binnen 25 Tagen wird dort entschieden, ob sie den Flüchtlingsstatus erhalten können ((http://www.asylumineurope.org/reports/country/greece/reception-conditions/access-forms-reception-conditions/criteria-restrictions)). Während die Entlassung von Syrern nach dem Zeitraum garantiert ist, werden die meisten Flüchtlinge anderer Nationalität in eigens errichtete Strafanstalten verlegt, in denen sie bis zu 18 Monate inhaftiert werden. Abgesehen davon, dass die Inhaftierung meistens automatisch geschieht und nicht, wie von den Gerichten gefordert, als letztes Mittel angewandt wird, sind die Umstände in den Lagern besorgniserregend. Es leben bis zu 15 Personen in Containern, die in der Sonne stehen, Kinder werden ebenfalls eingesperrt und es gibt kaum ärztliche Betreuung und angemessene sanitäre Anlagen ((Amnesty International (2014). Frontier Europe. Human Rights Abuses on Greece’s Border with Turkey)). Auf Grund von überfüllten Lagern, werden mittlerweile auch viele Asylsuchende entlassen. Dies bedeutet allerdings oftmals ein Leben ohne Unterkunft, finanzielle Unterstützung und Arbeitsmöglichkeiten ((http://www.asylumineurope.org/reports/country/greece/reception-conditions/access-forms-reception-conditions/forms-and-levels)). Solch eine Situation kann sich monatelang hinziehen, denn auch wenn sich das griechische Asylsystem gebessert hat, gab es Ende 2013 laut UNHCR noch 49.830 ausstehende Asylanträge, die zu bearbeiten sind ((UNHCR (2014). UNHCR Global Trends 2013. War’s Human Cost, S. 41)). Des Weiteren nahmen die gewaltsamen Übergriffe auf Ausländer zu – eine Situation, die durch die griechische Polizei geduldet und teils sogar unterstützt wird ((http://picum.org/picum.org/uploads/attachement/Greece%20EP%20event%20-%20Draft%20Agenda%20and%20Concept%20Note%20-%2011.03.2014.pdf)).
Diese Umstände sind eine Konsequenz aus griechischen und europäischen Anreizstrukturen und Interessen. Aufgrund der Wirtschaftskrise sind Griechenlands Staatsausgaben stark an die europäischen Sparprogramme gebunden. Somit wird die 2012 eingeleitete Reform des Asylsystems durch den Einstellungsstopp und die fehlenden Gelder massiv erschwert ((http://www.spiegel.de/international/europe/asylum-policy-and-treatment-of-refugees-in-the-european-union-a-926939.html)). Gleichzeitig nahm die Anzahl an Flüchtlingen im Laufe der Jahre stark zu, da sich die Flüchtlingsrouten wandelten. Das griechische Asylsystem war darauf nicht vorbereitet und konnte den Asylanträgen nicht Herr werden ((Triandafyllidou (2013). Migration in Greece. People, Policies and Practices, S. 7)).
Neben diesen Aspekten, spielt aber auch das mangelnde Interesse an einer ‚wahren‘ Reform eine große Rolle. Die jetzige Politik ist geprägt von Abschreckung und einem Fokus auf Sicherheit. Indem hart gegen Immigranten vorgegangen wird, soll das Bild von Griechenland als unattraktivem Ankunftsziel gezeichnet werden. Dabei differenziert die Politik nicht zwischen sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen und Flüchtlingen mit Rechtsanspruch auf Asyl. Es soll ein Zeichen gesetzt werden in der Hoffnung, so die Anzahl der ankommenden Menschen zu verringern ((http://www.reuters.com/article/2012/04/29/us-greece-camp-idUSBRE83S0GB20120429)). Des Weiteren nutzen die Regierungsparteien die Flüchtlinge (und Migranten generell), um politisches Kapital daraus zu schlagen. Durch das strenge Vorgehen und die Verknüpfung von wirtschaftlichen Problemen mit den Immigranten besänftigen sie unzufriedene Wähler und täuschen darüber hinweg, dass die Probleme nur durch grundlegende Reformen zu überwinden sind ((Triandafyllidou (2013). Migration in Greece. People, Policies and Practices, S. 6)). Dass dies aber zu einer Radikalisierung der Politik und zu Menschenrechtsverletzungen führt, wird dabei oft ignoriert. Und so lange weder von der Zivilgesellschaft noch von der internationalen Gemeinschaft Druck aufgebaut wird, haben die nationalen Institutionen kein Interesse daran, etwas zu ändern. Und falls doch einmal Rechtfertigungsdruck entsteht, kann immer darauf verwiesen werden, dass mehr Unterstützung von der EU benötigt wird und die Probleme national nicht zu lösen sind.
Von Seiten der EU, welche die Möglichkeiten für einen Wandel der Situation besäße, ist ein Politikwechsel ebenfalls nicht zu erwarten, denn sie hat kein Interesse den Mitgliedsstaaten mehr Verpflichtungen aufzubürden. Auf diese Weise werden Boote auf See zurückgewiesen und Migranten werden dem Bürger als Gefahr präsentiert, indem behauptet wird, sie seien eine Last für den Arbeitsmarkt, das Sozialsystem und gefährden überdies die innere Sicherheit ((http://www.dw.de/eu-needs-to-rethink-its-refugee-policy/a-17188912)). Auch die EU differenziert zu selten zwischen den verschiedenen Migranten. Das führt dazu, dass die EU weiterhin primär Geld für den Schutz der Grenzen ausgibt, anstatt es in humanitäre Bedingungen zu investieren. Außerdem bleibt das Problem dadurch weiterhin ein griechisches und weniger ein europäisches, was darüber hinaus eine sehr komfortable Lösung für all die Mitgliedsstaaten ohne eine EU-Außengrenze ist.
In solchen Situationen könnten NGOs und internationale Organisationen als wichtige Akteure auftreten. Aufgrund der Natur des Problems ist jedoch eine Kooperation mit dem Staat unerlässlich, was dazu führt, dass die meisten Organisationen in Griechenland in Nischen der Flüchtlingspolitik ohne großen Einfluss agieren.
Somit sind die Flüchtlinge in einer Situation gefangen, in welcher der griechische Staat zum Teil unfähig und zum Teil nicht willens ist, das System zu ändern. Die EU wäre fähig und notwendig für eine Lösung, zeigt aber kein Interesse an einem Politikwechsel. Gleichzeitig fokussieren beide Akteure ihre Politiken eher unvorsichtig, was die prekäre Lage der Flüchtlinge verstärkt. Letztlich ist, aufgrund aktueller Konflikte, mit einer größeren Ankunft von Menschen in den nächsten Jahren zu rechnen, wodurch das bereits hoffnungslos überlastete griechische System zusätzlich strapaziert werden wird. Ohne eine grundlegende Reform der Abschottungspolitik werden die Trauernachrichten aber nicht abreißen. Griechenland – ein offenes Reiseland für Europäer und eine mörderische Festung für Flüchtlinge.