Das Interview erscheint in der Zeitschrift „Queries„
Hat das politische Rechts-Links-Schema angesichts der erstarkenden populistischen Bewegungen weiterhin eine Daseinsberechtigung?
Ja, das hat es. Allerdings muss man berĂŒcksichtigen, dass sich die Inhalte dessen, was wir als links und rechts beschreiben, verschoben haben. Die historisch inhaltliche Achse, auf der linke und rechte Positionen verortet werden konnten, war die Verteilungsfrage gesellschaftlich erwirtschafteten Wohlstands. Dies konnte im ersten Zweidrittel des 20. Jahrhunderts noch in den (neo-) marxistischen Begriffen von privater VerfĂŒgung ĂŒber die Produktionsmittel und ausbeuterischen ProduktionsverhĂ€ltnissen verstanden werden. Die marxistische Begrifflichkeit verschwand, die Verteilungsfrage blieb in den kapitalistischen Demokratien jedoch weiter bestehen. Sie wurde nun nicht mehr ĂŒber Verstaatlichungen, sondern ĂŒber Steuern und wohlfahrtsstaatliche Leistungen (sozialdemokratische Parteien), Löhne (Gewerkschaften), PrimĂ€rgĂŒter (John Rawls) oder Lebenschancen (Amartya Sen) thematisiert. Im Zuge der Neoliberalisierung der Welt seit den frĂŒhen 1980er Jahren hat die Ungleichheit in der Verteilung von Einkommen und Lebenschancen wieder zugenommen. Die Verteilungsfrage hat sich erneut verschĂ€rft. In Zeiten der Globalisierung haben jedoch nunmehr die âKapitalseiteâ und die âInhaberâ hochentwickelten Humankapitals Vorteile gegenĂŒber Arbeitern und Menschen mit weniger nachgefragten professionellen FĂ€higkeiten. Fortschrittliche Parteien und Regierungen haben bisher nur unzureichende Wirtschafts- und Sozialpolitiken entwickelt, die das notwendige Investitionskapital anzieht und gleichzeitig die Ungleichheit in der Gesellschaft nicht anwachsen lĂ€sst.
Ende der 1970er Jahre vollzog sich im âlinken Lagerâ eine Art cultural turn, eine kulturelle Wende. Postmaterialistische GĂŒter wie Selbstverwirklichung, Emanzipation der Frauen und MultikulturalitĂ€t rĂŒckten stĂ€rker ins programmatische Zentrum sozialistischer und sozialdemokratischer Parteien, die sich zusehends von Arbeiter- in Mittelschichtsparteien wandelten. Kulturell links ist seitdem das Eintreten fĂŒr die multikulturelle Gesellschaft, liberale Immigrationsregelungen, erleichterte EinbĂŒrgerung, Gleichberechtigung der Geschlechter, der sexuellen PrĂ€ferenzen von Hetero- und HomosexualitĂ€t, Weltoffenheit der Gesellschaft und die BefĂŒrwortung der fortschreitenden Integration. Rechts war und ist dagegen das Beharren auf patriarchalischen VerhĂ€ltnissen, den Nationalstaat, eine nationale Leitkultur und die Positionierung gegen die multikulturelle Gesellschaft. BĂŒrger mit solchen Einstellungen sind zur Kernklientel rechtspopulistischer Parteien geworden.
Wird das Rechts-Links-Schema angesichts von Skepsis und Vertrauensverlust gegenĂŒber Politikern den demokratischen Grundanforderungen ĂŒberhaupt noch gerecht?
Der Vertrauensverlust gegenĂŒber den Politikern oder der âPolitikâ ist keine Frage von links und rechts. Er ist sowohl im rechten und konservativen Lager wie auch bei den Linken zu finden. Politikverdrossenheit hat keine ideologische Heimat. Eine Ursache fĂŒr diese resignierende Abkehr von der Politik ist die LĂŒcke zwischen den Wahlversprechen politischer Eliten und dem begrenzten Handlungsspielraum, den die staatliche Politik gegenĂŒber globalisierten und deregulierten MĂ€rkten noch besitzt. Demokratische Wahlen und die Medienberichterstattung verstĂ€rken diesen Effekt noch, da sie viele Politiker im politischen Wettbewerb dazu veranlassen, klare und eindeutige Problemlösungen anzubieten, wofĂŒr sie aber nicht mehr hinreichend die Machthebel in der Hand halten. Das gilt fĂŒr die Investitions- und BeschĂ€ftigungsfrage, die wirtschaftliche ProsperitĂ€t, fĂŒr Umweltprobleme oder Fragen des Schutzes vor terroristischen Gefahren. Um Vertrauen jenseits von rechts oder links zurĂŒckzugewinnen, mĂŒssen die politischen Eliten sich auf mehr bescheidene Aufrichtigkeit im politischen Wettbewerb beschrĂ€nken und jenen Handlungsraum zurĂŒckerobern, den sie fahrlĂ€ssig den deregulierten MĂ€rkten und ihren Akteuren ĂŒberlassen haben.
Skepsis und Vertrauensverlust sind zwei unterschiedliche Dinge. Eine gesunde Skepsis der BĂŒrger gegenĂŒber ihren ReprĂ€sentanten steht der Demokratie gut an. Kritische BĂŒrger beleben den Diskurs und bereichern die Deliberation. EnttĂ€uschung aber, die in Ohnmacht, Vertrauensverlust und dann in politische Apathie umschlĂ€gt, höhlt die Demokratie aus. Wenn dies ĂŒberdies vorrangig die unteren Schichten betrifft, und dies tut es, kehrt der Klassencharakter in die reifen Demokratien zurĂŒck. Um diesen gefĂ€hrlichen Trend zu stoppen, sind vor allem die linken Parteien gefragt. Eine klare Programmatik gegen die sozioökonomische Ungleichheit, glaubhafte Politiken zu ihrer Umsetzung in der Bildungs-, BeschĂ€ftigungs-, Steuer- und aktiven Sozialpolitik sowie die Einhaltung der Versprechen in der Regierungsverantwortung sind die wichtigsten Schritte. Die Linke muss die Verteilungsfrage wieder stĂ€rker entdecken und glaubhaft beginnen, sie gemeinschaftsvertrĂ€glich zu lösen.
Ist ein anderes Paradigma denkbar, dass die Links-Rechts-Aufteilung ersetzen könnte?
Die klassische Links-Rechts Konfliktlinie wird in jĂŒngerer Zeit von einem neuen cleavage ĂŒberlagert bzw. durchschnitten. Dies ist die Konfliktlinie zwischen Kommunitaristen/Nationalisten und Kosmopoliten. VerkĂŒrzt kann man argumentieren, dass dem Lager der Kosmopoliten die Gewinner der Globalisierung zugerechnet werden. Sie plĂ€dieren fĂŒr eine weitere Ăffnung der Grenzen fĂŒr Handel, Immigration, befĂŒrworten die europĂ€ische Integration und die UniversalitĂ€t der Menschenrechte. Der Nationalstaat ist keine wichtige BezugsgröĂe mehr. Im Lager der Kommunitaristen und Nationalisten finden sich die Verlierer der Globalisierung. Sie sind skeptisch gegenĂŒber der Ăffnung der Grenzen fĂŒr GĂŒter, Dienstleistungen, Menschen und Kulturen. Sie plĂ€dieren fĂŒr eine nationale Leitkultur und begreifen den Nationalstaat als Garanten fĂŒr innere Sicherheit, wirtschaftliche ProsperitĂ€t und sozialen Schutz. In der Mehrheit sind hier die UnterstĂŒtzer und WĂ€hler der rechtspopulistischen Parteien zu finden.
Damit fallen die Adressaten und UnterstĂŒtzer progressiver linker Werte in der Verteilungs- und Sozialstaatsfrage, wie sie verstĂ€rkt in den unteren sozialen Schichten zu finden sind, hĂ€ufig nicht mehr mit den TrĂ€gern kultureller kosmopolitischer Werte zusammen, wie sie vor allem von den gebildeten Mittel- und Oberschichten vertreten werden. Letztere wiederum wehren sich hĂ€ufig gegen staatliche Eingriffe in die Wirtschaft, gegen zu hohe Steuerbelastungen und umfangreiche Sozialstaatsausgaben. Kosmopoliten sind in kulturellen Fragen eher links und hinsichtlich der Wirtschaft (neo-)liberal, wĂ€hrend die unteren Schichten in der Verteilungsfrage zu linken Positionen tendieren, kulturell, also in der Einwanderungs- und BĂŒrgerrechtspolitik, aber eher rechts stehen. Dieses Dilemma vermochten die sozialdemokratischen Parteien bisher nicht aufzulösen. Auch deshalb ist ihr Charakter als Volkspartei in vielen LĂ€ndern gefĂ€hrdet.