Was heißt eigentlich „links“?

Die Frage wurde schon häufig gestellt. Meist fragt sich dies die Linke selbst, selten frei von Selbstzweifeln. Wie soll auch ein Begriff, der erstmals kurz vor der Französischen Revolution auftauchte, von Marx im 19. Jahrhundert theoretisch fundiert und im Verlaufe des 20. Jahrhunderts zunächst radikalisiert und dann von seinen Hauptprotagonisten revidiert und moderiert wurde noch für das 21. Jahrhundert taugen? Er taugt durchaus, bedarf aber der Erklärung.

Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff von der demokratischen Linken primär auf die ökonomische und soziale Sphäre bezogen. Es ging um Verteilung, genauer um Umverteilung. Der Markt wurde zwar als Sphäre unübertroffener wirtschaftlicher Effizienz anerkannt, gleichzeitig meldete die Linke einen erheblichen Steuerungs- und Korrekturbedarf seiner ökonomischen Wirkungen und sozialen Ergebnisse an. Diese Frage ist im 21. Jahrhundert keineswegs verschwunden. Die gelichzeitige Deregulierung und Globalisierung hat die Ungleichheit in den entwickelten Industriestaaten wieder mit Wucht auf die Agenda gesetzt. Zum einen erwies sich die spezifische Form des Finanzkapitalismus mit seiner Krise im Jahre 2008 als außerordentlich fragil und regulierungsbedürftig. Zum anderen hat die soziale Ungleichheit in Deutschland wie in allen anderen Industriestaaten kontinuierlich zugenommen. Dies gilt für Einkommen, Vermögen und Lebenschancen. Der Linken ist also keineswegs ihr genuines politisches Thema abhandengekommen – auch nicht im 21. Jahrhundert.

Allerdings ist gerade in den letzten drei Jahrzehnten eine neue kulturelle Konfliktlinie entstanden, die die Linke wesentlich weniger gut bearbeiten kann, weil sie sich mit der sozioökonomischen Konfliktlinie überschneidet. Die neue Konfliktlinie trennt zwei Lager deutlich voneinander: auf der einen Seite die Kosmopoliten und auf der anderen Seite nationalstaatliche, bisweilen auch nationalistische Kommunitaristen. Kosmopoliten vorzugsweise in den höheren Bildungs- und Einkommensschichten angesiedelt treten ein für die Gleichheit aller Geschlechter, gleiche Rechte für Homosexuelle, für offene Grenzen für Waren, Dienstleistungen, Kapital, Arbeitskräfte, Flüchtlinge, Immigranten. Sie sind für die Europäische Integration und halten den Nationalstaat für ein Relikt der vergangen Jahrhunderte. Sie sind die Gewinner der Globalisierung, die „frequent flyers“ unserer Gesellschaften. Kommunitaristen setzen auf solidarische Gemeinschaften, den Nationalstaat, eng kontrollierte Grenzen gegenüber Kapital wie Immigranten und stehen der EU mit Skepsis gegenüber. Sie sind vor allem in der unteren Hälfte der Bildungs- und Einkommensskala angesiedelt. Sie sind tendenziell die Verlierer der Globalisierung.

Nun setzt die Linke, insbesondere nach ihrer kulturalistische Wende der letzten drei Jahrzehnte auf kosmopolitische Werte. Sie gelten als modern, progressiv, als links. Sie zielt also kulturell eher auf die Wähler in der oberen Hälfte der Wohlstandsgesellschaft, während sie ökonomisch und sozialpolitisch eher die untere Hälfte ansprechen will. Dies wirft für die Strategen in den Parteiquartieren ebenso Probleme auf, wie es auch die Wähler vor die Frage stellt, ob sie sich eher entlang ihrer kulturellen oder ökonomischen Präferenzen entscheiden sollen. Wer aber ist die Linke in Deutschland und wie orientiert sie sich an den beiden essentiellen Konfliktlinien?

Kanzlerkandidat der SPD Martin Schulz: Ökonomisch Links, Kulturell Kosmopolit.

Gemeinhin gelten die SPD, die Grünen und „Die Linke“ als das linke Lager in Deutschland. Ökonomisch bewegt sich die SPD programmatisch wie regierungspolitisch in einem Mitte-Links Raum, mit gewissen Oszillationen, wie der vorsichtige Linksschwenk des Kanzlerkandidaten Schulz gegenwärtig verdeutlicht. Die Linke siedelt sich selbst klar im linken politischen Raum an, wenn es um Wirtschafts- und Sozialpolitik geht. Allerdings ist dies dann programmatisch einfacher, wenn man nicht in der Regierungsverantwortung in Berlin steht und den Handlungsbegrenzungen unterworfen ist, die die EU und die Internationalisierung der Märkte unweigerlich aufwerfen. Die Grünen haben nach ihrem dezidiert linken (Steuer)Wahlkampf 2013 und die damit verbundenen Wählerverluste sich komfortabel rechts von der SPD in der Mitte eingeordnet. Dies entspricht auch ihrer Wählerklientel der Bessergestellten. Eine durchaus rationale Strategie.

Kulturell ist es umgekehrt. Die Grünen sind die Kosmopoliten. Ihr progressives Selbstverständnis ziehen sie aus dieser kulturellen Positionierung. Sie sind wenn man das in den Standard-Begriffen der Politik formuliert, kulturell links, ökonomisch jedoch in der bürgerlichen Mitte angekommen. „Die Linke“ ist in der kulturellen Frage gespalten, insbesondere was die Offenheit der Grenzen und die EU angeht. Ein starker kommunitär-nationalstaatlicher Zug prägt etwa das Lager um Sara Wagenknecht. Die Linke ist also kulturell keineswegs durchgängig auf der Linken positioniert, während sie ökonomisch links steht. Bei der SPD läuft die kulturelle Konfliktlinie ebenfalls quer durch die Partei. Die kulturell eher kosmopolitischen Eliten der Partei werden häufig mit einer Basis konfrontiert, die stärker auf eine kontrollierte Schließung der Grenzen gegenüber Flüchtlingen, Immigranten und der Abgabe von Souveränitätsrechten setzt. Sie ist also kulturell sowohl links wie auch rechts. Das setzt einer kohärenten linken Strategie der Partei enge Grenzen. Es ist diese strukturelle Begrenzung, die sie bisweilen zur „Partei des donnernden Sowohl als auch“ (Willy Brandt) macht.

Können diese drei Parteien eine erfolgreiche Regierungskoalition bilden? Klammert man die Außenpolitik aus, wo sich vor allem Russlandfeindlichkeit (Grüne) und Russlandfreundlichkeit (Linke) gegenüber stehen, ergeben sich mehr ökonomische und politische Schnittmengen als etwa in einer Großen Koalition, der auch die rechtskonservative CSU angehört. Die SPD kann zudem aus einer solchen Konstellation fast nur gewinnen. Sie steht sowohl ökonomisch wie auch kulturell in der Mitte und bildet somit so etwas wie die Schnittmenge der gesamten linken Koalition.

dieser Beitrag wurde ebenfalls im Tagesspiegel CAUSA veröffentlicht.

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