Bundestagswahl 2017: Die Stunde der Populisten?

Populismus ist in der öffentlichen Diskussion ein schillernder und vieldeutiger Begriff. Politiker, Parteien und WĂ€hler werden wahlweise als Populisten, Rechtspopulisten oder Linkspopulisten bezeichnet. Seit der Wahl von Donald Trump zum PrĂ€sidenten der USA wird sogar von einem neuen „Zeitalter des Populismus“ gesprochen. Auch den liberalen, reprĂ€sentativen Demokratien des Westens wird eine populistische Zukunft vorhergesagt. Populismus scheint zur Signatur der Demokratie im 21. Jahrhundert zu werden. Aber was ist Populismus? Wie lĂ€sst er sich inhaltlich definieren und empirisch messen? Wie populistisch sind die Deutschen? Und welche Rolle spielt der Populismus im Wahlkampf und fĂŒr die Wahlentscheidung im Jahr der Bundestagswahl 2017?

Was ist Populismus?

Populismus hat drei wesentliche Dimensionen: „Anti-Establishment“, „Anti-Pluralismus“ und „Pro-VolkssouverĂ€nitĂ€t“. Kennzeichnend fĂŒr Populisten ist deshalb ihre Kritik am personellen und institutionellen Establishment der Gesellschaft. Im Fokus der Populisten stehen dabei die etablierten Parteien, Parlamente und Politiker, als typische ReprĂ€sentanten des politischen Establishments. Auch kritische Einstellungen gegenĂŒber den Medien, der EuropĂ€ischen Union (EU) oder gegenĂŒber dem Rechtsstaat zĂ€hlen zu dieser Anti-Establishment-Dimension. Kennzeichnend fĂŒr die zweite Dimension von Populismus sind anti-pluralistische Einstellungen. Ausgehend von einem behaupteten allgemeinen Volkswillen, werden dabei die Institutionen und Verfahren pluralistischer Willensbildung und Entscheidungsfindung abgelehnt. Stattdessen fordert Populismus seiner dritten Dimension folgend, dass Politik ein unmittelbarer Ausdruck des Volkswillens sein sollte.

Populismus ist also zunĂ€chst weder „links“ noch „rechts“. Er begreift gesellschaftliche Auseinandersetzungen als Konflikte zwischen dem „einen“ Volk und den „korrupten“ politischen Eliten. Radikale Populisten erkennt man daran, dass sie die Entmachtung der herrschenden Politik fordern, um den Einfluss des Volkswillens zu stĂ€rken. Dazu fordern sie radikale Reformen des politischen Systems, und behaupten, dass sie alleine den wahren BĂŒrgerwillen reprĂ€sentieren. In seiner moderaten Variante setzt sich Populismus kritisch mit den etablierten demokratischen Institutionen auseinander, und wĂŒnscht sich mehr direkte Beteiligung der BĂŒrger und eine bessere BerĂŒcksichtigung ihrer Interessen bei politischen Entscheidungen.

Radikaler Populismus stellt die etablierten Institutionen der liberalen Demokratie in Frage und kann zu einer GefÀhrdung der Demokratie werden. Moderater Populismus ist ein stÀndiger Begleiter der Demokratie, kann ihre ResponsivitÀt erhöhen und ihr Funktionieren verbessern.

Wie populistisch sind die Deutschen nach diesen Kriterien? Wie radikal oder wie moderat ist ihr Populismus, und wie „links“ oder „rechts“ ist er?

Wie populistisch sind die Deutschen?

Populistische Einstellungen sind in Deutschland zwar weit verbreitet, aber sie verbinden sich nicht mit einer radikalen Systemkritik; in Umfragen werden sie tendenziell ĂŒbertrieben. Insgesamt stimmen knapp drei von zehn (29,2 Prozent) der Wahlberechtigten populistischen Aussagen grundsĂ€tzlich zu und sind damit populistisch eingestellt. Die Verteilung populistischer Einstellungen in der deutschen Wahlbevölkerung ist – wie die Wahlbeteiligung – sozial gespalten: Je geringer der formale Bildungsstand und je geringer das Einkommen, umso grĂ¶ĂŸer ist der Anteil populistisch eingestellter Menschen. Deshalb sind auch NichtwĂ€hler (36,4 Prozent der NichtwĂ€hler) hĂ€ufiger populistisch eingestellt als WĂ€hler (26,3 Prozent der WĂ€hler).

Populistische Einstellungen sind entlang des gesamten ideologischen Links-Rechts-Spektrums zu finden. Mehr als ein Drittel aller populistisch eingestellten WĂ€hler in Deutschland (11,2 Prozent aller Wahlberechtigten) verorten sich selbst in der politischen Mitte. Anteilig sind Menschen mit rechten politischen Einstellungen jedoch hĂ€ufiger populistisch eingestellt als Menschen aus dem linken Teil des Spektrums oder aus der politischen Mitte. Populistisch eingestellte WĂ€hler vertreten auch bei uns die fĂŒr den Populismus typischen „Pro-VolkssouverĂ€nitĂ€t“-, „Anti-Establishment“- und „Anti-Pluralismus“-Positionen. Sie lehnen in ihrer großen Mehrheit aber weder die Demokratie als System noch die EU ab, sondern kritisieren ihr derzeitiges Funktionieren. Die meisten Populisten in Deutschland sind keine Feinde der Demokratie, sondern enttĂ€uschte Demokraten.

DarĂŒber hinaus ĂŒbertreiben viele Menschen ihren Populismus. Gerade Menschen mit hoher Bildung Ă€ußern sich in Umfragen populistischer als es ihren wahren Einstellungen entspricht. Der „wahre“ Populismus scheint damit vor der Bundestagswahl 2017 geringer ausgeprĂ€gt als der „expressive“ Populismus, den Umfragen messen.

Populismus im Wahlkampf

Im Durchschnitt aller Wahlberechtigten haben die Positionen „mehr Europa“, „mehr Umverteilung“ und „weniger FlĂŒchtlinge“ derzeit das grĂ¶ĂŸte Potenzial, WĂ€hler von politischen Kandidaten zu ĂŒberzeugen. Bei den Schwerpunktthemen fallen die in WahlkĂ€mpfen hĂ€ufig populĂ€ren Themen wie „Umweltschutz“ oder „Wirtschaftswachstum“ deutlich zurĂŒck. Auch die Globalisierung ist im Wahljahr in Deutschland kein mobilisierendes Thema fĂŒr die WĂ€hler. Ebenso sind typisch allgemein-populistische PrioritĂ€ten wie „KorruptionsbekĂ€mpfung“ und „mehr direkte Demokratie“ fĂŒr die meisten WĂ€hler nicht wahlentscheidend.

Der typisch populistische Ruf nach einer „Entmachtung der politischen Eliten“ wirkt sich in Deutschland sogar deutlich negativ auf die Chancen politischer Kandidaten bei den WĂ€hlern aus. Von einer „Stunde der Populisten“ ist das politische Klima vor der Bundestagswahl somit weit entfernt.

In der fĂŒr alle WĂ€hler auch im Wahljahr 2017 noch sehr wahlentscheidenden FlĂŒchtlingspolitik gilt fĂŒr die Volksparteien CDU/CSU und SPD ebenso wie fĂŒr die GrĂŒnen, die Linke und die FDP: Ihre WĂ€hler sind zwar gegen die Aufnahme „sehr vieler“ FlĂŒchtlinge, aber die Forderung nach einer weiteren BeschrĂ€nkung der derzeit moderaten Zuwanderung fĂŒhrt bei den eigenen WĂ€hlern nicht zu mehr Sympathien. Die WĂ€hler beider Volksparteien reagieren auf die Aufnahme nur noch „einiger“ FlĂŒchtlinge fast ebenso positiv wie auf die Forderung nach Abschiebungen. Eine Übernahme rechtspopulistischer Abschiebeforderungen wĂŒrde also die eigene WĂ€hlerschaft der CDU/CSU ebenso wenig binden wie die der SPD.

Ganz anders dagegen die AfD-WĂ€hler. Ihr Mobilisierungsprofil ist so einseitig fokussiert wie bei den WĂ€hlern keiner anderen Partei: Rechtspopulistisch gegen FlĂŒchtlinge, das ist die Formel der AfD-WĂ€hlermobilisierung fĂŒr das Wahljahr 2017.

Populismus an der Wahlurne

Populistische Einstellungen sind im Wahljahr 2017 auch mit dem Wahlverhalten der Deutschen verbunden. Populistische und unpopulistische WÀhler sympathisieren und identifizieren sich sehr unterschiedlich mit den Parteien. Und sie wÀhlen auch unterschiedlich.

Die Partei mit den unpopulistischsten WĂ€hlern ist die CDU, auch in ihrer Wahlverbindung mit der CSU. Bei vollkommen unpopulistischen WĂ€hlern erreicht die Union einen WĂ€hleranteil von bis zu 60 Prozent. Bei den unpopulistischen WĂ€hlern rechts von der Mitte erreicht die Union sogar eine Zwei-Drittel-Mehrheit.

Die SPD ist im Unterschied zur Union bei Populisten und Nichtpopulisten in etwa gleich stark. Ihre besten Ergebnisse erzielt sie mit um die 50 Prozent gleichermaßen bei Populisten und Nichtpopulisten links von der politischen Mitte. Auch die Linke ist bei den Populisten ebenso stark wie bei den Nichtpopulisten, wird aber fast ausschließlich von WĂ€hlern links der Mitte gewĂ€hlt. Die Linke ist damit zwar nach ihrer WĂ€hlerschaft eine typisch linke, aber keine eindeutig linkspopulistische Partei.

Die AfD ist dagegen eine eindeutig rechtspopulistische Partei. Im extrem rechtspopulistischen Segment erreicht sie um die 60 Prozent der WÀhler. Das ist ihr Alleinstellungsmerkmal und das entspricht ihrem Programm und ihren Kandidaten. Unter den extrem rechts orientierten Nichtpopulisten kommt sie zwar auch auf immerhin noch zehn bis 20 Prozent, aber schon in der politischen Mitte sowie links davon wÀhlt so gut wie niemand mehr AfD.

Das klare Gegenbild dazu sind die GrĂŒnen. Sie sind am stĂ€rksten bei unpopulistischen WĂ€hlern links der Mitte. Dort erreichen sie um die 15 Prozent aller WĂ€hler, wĂ€hrend sie von Populisten weniger gewĂ€hlt werden. Die FDP wird ĂŒberdurchschnittlich hĂ€ufig von unpopulistischen WĂ€hlern rechts von der politischen Mitte gewĂ€hlt, weniger von eher rechtsorientierten Populisten.

 

Hinweis

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der Studie: Die Stunde der Populisten? – Populistische Einstellungen bei WĂ€hlern und NichtwĂ€hlern vor der Bundestagswahl 2017 der Bertelsmann Stiftung. Die Studie ist hier Abrufbar.

Autoren

Dr. Robert Vehrkamp, ist Director im Programm „Zukunft der Demokratie“ der Bertelsmann Stiftung und derzeit Gastwissenschaftler der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin (WZB). – robert.vehrkamp@bertelsmann-stiftung.de

Dr. Christopher Wratil, ist derzeit Thyssen Postdoc Fellow der Cologne Graduate School am Cologne Center for Comparative Politics der UniversitĂ€t zu Köln. – c.wratil@uni-koeln.de

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