Seit 2013 gibt es in der Bundesrepublik die Partei Alternative für Deutschland. Mit welchen Themen will sie eine Alternative zu den etablierten Parteien bieten? Eine vergleichende Analyse des ersten Wahlprogramms (2013) und des Grundsatzprogramms (2016) zeigt eine starke Verschiebung der Themenschwerpunkte. Standen bei der Gründung noch Themen wie EUKritik, Volkssouveränität und Haushaltsdisziplin im Fokus, definiert sich die AfD heute besonders über Bezüge zum Nationalismus, zur gesellschaftlichen Homogenität und zu traditionellen Werten.
Der Aufstieg der „Alternative für Deutschland“ ist eines der beherrschenden Themen in der hiesigen politischen Debatte. Auch wenn die Umfragewerte nicht mehr auf ihrem Allzeithoch sind, so scheint der Einzug der Partei in den Bundestag im Herbst 2017 doch gewiss. Aus dem Namen der Partei klingt der Anspruch, eine Alternative zu den etablierten Parteien zu bieten und andere Programmatiken als diese zu vertreten. Um diesen Anspruch zu prüfen, haben wir die Themenschwerpunkte der AfD sowohl im Zeitverlauf als auch mit den Programmen der etablierten Parteien in Deutschland verglichen. Grundlage der Untersuchung ist das Grundsatzprogramm der AfD, in dem die Partei auf 74 Seiten ihre programmatische Ausrichtung definiert und Leitlinien für ihr politisches Handeln festhält. Das von der Bundesprogrammkommission und dem Bundesvorstand verfasste Papier wurde auf dem Stuttgarter AfD-Parteitag im April 2016 mit großer Mehrheit verabschiedet. Das in den Medien als „anti-islamisch“ bezeichnete Grundsatzprogramm manifestierte einen programmatischen Wechsel, der sich seit einiger Zeit abgezeichnet und den Parteigründer Bernd Lucke bereits 2015 zum Ausstieg aus der AfD und zur Gründung der neuen liberal-konservativen Partei Alfa bewogen hatte. Bei der inhaltsanalytischen Auswertung wurde das Programm in einzelne Aussagen unterteilt und jede Aussage einem von 56 Themen zugeordnet. Diese Methode ist seit langem im Manifesto Projekt erprobt. Sie ermöglicht zu untersuchen, wo eine Partei ihre programmatischen Schwerpunkte setzt und sich von anderen Parteien abgrenzt. Aus der jeweiligen Kombination von Themen in einem Programm lassen sich in einem zweiten Schritt politische Positionen auf den unterschiedlichen Konfliktdimensionen im politischen Diskurs bestimmen.
Thematische Schwerpunkte im Grundsatzprogramm
Wo also setzt die AfD ihre programmatischen Prioritäten? Die zehn wichtigsten Themen, von denen die meisten im gesellschaftspolitischen Bereich liegen, machen 60 Prozent des Grundsatzprogramms aus. Den Schwerpunkt setzt die AfD auf die Wahrung der nationalen Einheit, besonders häufig verbunden mit negativen Äußerungen zur Aufnahme neuer Einwanderer (11 %). In Zusammenhang damit steht die Forderung nach gesellschaftlicher Homogenität, besonders durch die Assimilation bereits in Deutschland lebender Migranten (5%). Dass diesen Themen eine prominente Rolle zukommt, ist wenig überraschend und passt mit den öffentlich-medialen Äußerungen der Partei zusammen, mit denen sie sich im Zuge der Flüchtlingskrise deutlich positioniert hat. Das zweithäufigste Thema ist die Erhaltung traditioneller, konservativer Werte, wie die Wahrung des traditionellen Familienbilds (7%). So kritisiert die AfD zum Beispiel die Stigmatisierung klassischer Geschlechterrollen durch Gendermainstreaming. Ein deutlicher Fokus liegt auch auf der Förderung von Familien und dem Bestreben, das Demografieproblem über Anreize für mehr Kinder statt zusätzlicher Einwanderung zu lösen. Wirtschaftliche Themenschwerpunkte sind freie Marktwirtschaft (7%), Infrastruktur (6%) und eine stärkere Marktregulierung, besonders mit Blick auf den Verbraucherschutz (5%). Die wirtschaftlichen Positionen zeigen damit deutlich Spuren aus der Gründungsphase der AfD, in der die Partei sich – besonders in Abgrenzung zum bestehenden europäischen Währungssystem – für ein liberales Wirtschaftssystem stark machte. Negative Aussagen zu den Institutionen der Europäischen Union sind das fünfthäufigste Thema. Die AfD bezieht unter anderem Stellung gegen den Euro und fordert, die Kompetenzen des EU-Parlaments zu verringern und stattdessen den Nationalstaaten wieder mehr Souveränität zu übertragen (6%). Schließlich spielen auch Forderungen nach mehr Demokratie, unter anderem direktdemokratische Elemente (5%), und die Wahrung von Freiheits- und Bürgerrechten gegenüber staatlichen Eingriffen (5%) eine bedeutende Rolle. Letzter Punkt unter den zehn Hauptthemen im Grundsatzprogramm ist die Korruptionsbekämpfung (4%). Die AfD wettert in diesem Zusammenhang gegen das „politische Kartell“ und die „kleine, machtvolle politische Führungsgruppe innerhalb der Parteien“, die als „heimlicher Souverän“ agiere.
Inhaltlicher Wandel und Vergleich mit den etablierten Parteien
Das Grundsatzprogramm ist nicht das erste Dokument, mit dem die AfD programmatische Schwerpunkte festlegt hat. Auf ihrem Gründungskongress 2013 einigte sich die Partei auf inhaltliche Leitlinien, die im Wahlprogramm für die damalige Bundestagswahl festgeschrieben wurden. Das Wahlprogramm war allerdings mit nur vier Seiten vergleichsweise kurz – es enthielt 73 Aussagen, während das Grundsatzprogramm von 2016 1.400 Aussagen umfasst. Wie haben sich die Positionen der AfD innerhalb dieser drei Jahre verändert? Schwerpunktthema im Jahr 2013 war die Demokratie, besonders häufig Forderungen nach direkter Demokratie (18%). Negative Äußerungen zur EU machten den zweitgrößten Teil des Wahlprogramms aus (14%). EU-Kritik wurde damit fast dreimal so häufig wie drei Jahre später thematisiert. Ebenfalls jeweils über zehn Prozent des Wahlprogramms von 2013 beschäftigten sich mit Bürokratieabbau und Haushaltsdisziplin. Beides sind Themen, die 2016 keine prominente Rolle mehr einnehmen (3% und 2%). Noch deutlicher ist der Unterschied mit Blick auf das fünftwichtigste Thema, soziale Gerechtigkeit, das 2016 nur noch weniger als ein Prozent der Aussagen ausmacht. Ähnlich im Vergleich zu 2016 ist dagegen die Betonung traditioneller Werte (5% vs. 7%). Interessanterweise spielte die Wahrung der nationalen Einheit – 2016 das wichtigste Thema für die AfD – früher nur eine geringe Rolle (3%). Auch die Themen freie Marktwirtschaft und gesellschaftliche Homogenität waren 2013 von fast keiner Bedeutung im Wahlprogramm, ganz anders als 2016 im Grundsatzprogramm. Der Vergleich der beiden Programme hat den Wandel der Partei deutlich gemacht: Während in der Gründungsphase EU-Kritik und mehr Demokratie die bestimmenden Themen darstellten, hat sich der Fokus 2016 auf nationale Werte, ein traditionelles Familienbild und eine homogene Gesellschaft verschoben.
Die AfD von heute ist also eine andere Partei als bei ihrer Gründung. Wie aber unterscheidet sie sich von den etablierten Parteien? Zur Beantwortung dieser Frage haben wir uns Themen angeschaut, die im Wahl- oder Grundsatzprogramm der AfD die thematischen Schwerpunkte ausmachen. Die Grafik illustriert die Differenzen zwischen der Betonung eines Themas in den AfD-Programmen und der mittleren Bedeutung, die das jeweilige Thema für die etablierten Parteien (CDU/CSU, FDP, SPD, Grüne, Linke) in ihren Wahlprogrammen 2013 eingenommen hat. Hier zeigt sich nicht nur ein deutlicher Unterschied zu den anderen Parteien, sondern auch eine deutliche Verschiebung der AfD-Programmatik im zeitlichen Verlauf. Wie der vorangegangene Abschnitt gezeigt hat, spielte 2013 die EU-Kritik für die AfD eine große Rolle, wohingegen sich die etablierten Parteien nur in weniger als einem Prozent kritisch gegenüber der EU geäußert haben. Auch die Themen Demokratie (mit besonderem Fokus auf direktdemokratische Elemente), Haushaltsdisziplin und Bürokratieabbau wurden im Wahlprogramm der AfD deutlicher stärker betont als bei den anderen Parteien. Das hat sich (mit Ausnahme der EU-Kritik) im Grundsatzprogramm von 2016 stark verändert. Jetzt betont die AfD diese Themen sogar teilweise seltener als die etablierten Parteien und grenzt sich vor allem durch die Fokussierung auf Nationalismus und Traditionalismus sowie gesellschaftliche Homogenität und Korruptionsbekämpfung ab. Die ersten drei Themen haben zwar bereits 2013 einen wichtigeren Stellenwert als in den Wahlprogrammen der anderen Parteien eingenommen, aber die Bedeutung hat 2016 weiter zugenommen. Die Abgrenzung zu den anderen Parteien ist dadurch deutlicher geworden. Das Thema Korruptionsbekämpfung hat 2013 weder für die AfD selbst noch für die etablierten Parteien eine Bedeutung, nimmt aber drei Jahre später im Grundsatzprogramm eine prominente Rolle ein.
Graphik-1: Unterschied in der Themenbetonung im Vergleich zu den etablierten Parteien.
In einem zweiten Schritt lassen sich aus den Themenschwerpunkte Positionen berechnen: Die Parteien können auf einer Links-Rechts-Achse eingeordnet werden. Dabei zeigt sich, dass die AfD am rechten Rand des Parteienspektrums zu verorten ist, und zwar 2016 noch deutlicher als 2013. Etwas genauer lässt sich dies analysieren, wenn die Positionen der Parteien noch einmal getrennt auf den zwei häufigsten Konfliktlinien – sozioökonomische und soziokulturelle Dimension – betrachtet werden. Die soziökonomische Dimension umfasst alle Konflikte, die sich über Fragen zur Wirtschaft und dem Wohlfahrtsstaat ergeben. Auf dieser Dimension unterscheidet sich die AfD allerdings weniger stark von den etablierten Parteien. Sie ist dort sehr nah an der FDP positioniert. Die relevante Unterscheidung findet sich auf der soziokulturellen Dimension, welche sich zwischen liberalen und konservativen Einstellungen zu gesellschaftspolitischen Fragen aufspannt. Hier liegt die Partei deutlich rechts von der Union und auch der innerparteiliche Rechtsruck zwischen 2013 und 2016 fällt deutlich größer als im sozioökonomischen Bereich aus.
Graphik–2: Positionen der Parteien auf der sozioökomischen und soziokulturellen Dimension.
Die AfD als Alternative?
Die Analyse zeigt, dass die AfD am rechten Rand des Spektrums eine rein soziokulturelle, aber keine wirtschaftliche Programmalternative bereitstellt. Im Gegensatz zu den etablierten Parteien betont sie die Bedeutung des deutschen Nationalstaats, die Herstellung gesellschaftlicher Homogenität sowie den Erhalt traditioneller Werte und beklagt die ihrer Meinung nach bestehende politische Korruption. Bei der Bundestagswahl 2013 gehörten zu den wichtigsten alternativen Themenangeboten noch Haushaltsdisziplin und Bürokratieabbau. Innerhalb von drei Jahren hat sich der Fokus eindeutig verschoben. Das zeigt sich auch in Bezug auf die EU: Die kritische Haltung gegenüber dem Euro und den EU-Institutionen spielte besonders in der Anfangszeit eine große Rolle, wodurch die AfD eine deutliche Alternative zu den etablierten Parteien darstellte, die sich fast ausschließlich europafreundlich äußerten. Die Europakritik nimmt zwar auch 2016 noch einen wichtigen Stellenwert ein, allerdings hat ihre relative Bedeutung zugunsten der bereits genannten Themen abgenommen. Ebenso hat sich ein relativer Bedeutungsverlust beim Thema Demokratie gezeigt. 2013 war es noch das am häufigsten betonte Thema der AfD, im Grundsatzprogramm von 2016 hingegen unterscheidet sich die Bedeutung nicht mehr von jener in den etablierten Parteien.
Die programmatischen Schwerpunkte im Grundsatzprogramm der AfD stellen nicht nur eine soziokulturelle Alternative zu den etablierten Parteien dar, sondern sie weisen daraufhin, dass es sich hier um eine (rechts)populistische Alternative handelt. Das Ideal einer homogenen, anti-pluralistischen Gesellschaft und die Kritik am Establishment verweisen klar auf die populistischen Charakterzüge der Partei. Mit der Diffamierung der herrschenden Elite hat sich die AfD innerhalb von drei Jahren verstärkt einer destruktiven Kritik am System zugewandt. Die Betonung des Nationalstaates und der Wahrung der nationalen, kulturellen Identität gegenüber fremden Einflüssen weisen die rechtspopulistische Verortung der Partei nach.
Literatur
Arzheimer, Kai. 2015. The AfD: Finally a successful right-wing populist eurosceptic party for Germany? West European Politics (3) 38, 535-556.
Franzmann, Simon. 2014. Die Wahlprogrammatik der AfD in vergleichender Perspektive. Mitteilungen des Instituts für Parteienrecht und Parteienforschung 20, 115-124.
Rosenfelder, Joel. 2017. Die Programmatik der AfD: Inwiefern hat sich die Partei von einer primär euroskeptischen zu einer rechtspopulistischen Partei entwickelt? Zeitschrift für Parlamentsfragen (1) 48, S. 123-140.
Werner, Annika, Onawa Lacewell, Andrea Volkens. 2011. Manifesto Coding Instructions: 4th fully revised edition. https://manifestoproject.wzb.eu/coding_schemes/mp_v4.
Die Beiträge aus dieser Reihe sind in ähnlicher Form bereits in den WZB Mitteilungen 156 im Juni 2017 erschienen.