Populismus ist in der öffentlichen Diskussion häufig ein reiner Zuschreibungsbegriff, schillernd und vieldeutig. Empirisch lässt sich Populismus in seinen zwei Dimensionen Anti-Establishment und Anti-Pluralismus konkreter definieren, konzeptualisieren und messen. Ergänzt um typisch linke oder rechte Items lassen sich auch Links- und Rechtspopulismus empirisch verorten und messen. Für die Wähler der Alternative für Deutschland (AfD) zeigt sich dabei: Die AfD ist nicht nur programmatisch und auf der Ebene ihrer Parteifunktionäre und Kandidaten eine rechtspopulistische Partei. Auch die Wähler der AfD sind mehrheitlich Rechtspopulisten. Mit der AfD hat sich vor der Bundestagswahl 2017 auch in Deutschland eine eindeutig rechtspopulistische Partei etabliert.
Populismus ist ein schillernder Begriff, vieldeutig und von zahlreichen Zuschreibungen überlagert. Politiker, Parteien und Wähler werden wahlweise als Populisten, Rechtspopulisten oder Linkspopulisten bezeichnet. Seit der Wahl von Donald Trump wird von einem neuen „Zeitalter des Populismus“ gesprochen. Auch den liberalen, repräsentativen Demokratien des Westens wird eine populistische Zukunft vorhergesagt. Populismus scheint zur Signatur der Demokratie im 21. Jahrhundert zu werden.
Aber was ist Populismus? Wie lässt er sich inhaltlich definieren? Und (wie) lässt sich Populismus empirisch messen?
Die meisten Forscher sind sich heute über zwei Dimensionen von Populismus einig: Zum einen Anti-Establishment und zum anderen Anti-Pluralismus. Kennzeichnend für Populisten ist zunächst ihre Kritik am personellen und institutionellen Establishment der Gesellschaft, wie beispielsweise den etablierten Parteien, den Parlamenten und den Politikern als typischen Repräsentanten des politischen Establishments der Demokratie. Auch kritische Einstellungen gegenüber den Medien, der Europäischen Union oder gegenüber dem Rechtsstaat zählen zu dieser Anti-Establishment Dimension. Kennzeichnend für die zweite Dimension von Populismus sind anti-pluralistische Einstellungen, die, ausgehend von einem behaupteten allgemeinen Volkswillen, die Institutionen und Verfahren pluralistischer Willensbildung und Entscheidungsfindung ablehnen.
Diese beiden Dimensionen ermöglichen es populistische Einstellungen auch empirisch zu konzeptualisieren und zu messen. Je stärker Wähler, Parteien oder Politiker Einstellungen und Positionen vertreten, die für Anti-Establishment und Anti-Pluralismus stehen, umso populistischer sind sie. Populismus ist also zunächst weder links noch rechts. Als eine inhaltlich nicht aufgeladene „dünne“ Ideologie begreift er gesellschaftliche Auseinandersetzungen als Konflikte zwischen dem „einen“ Volk und den „korrupten“ politischen Eliten. Populistische Parteien, Politiker und Wähler erkennt man daran, dass sie in ihren Programmen, ihrer Rhetorik und ihren Einstellungen die Entmachtung der herrschenden Politik fordern, um den Einfluss des Volkswillen zu stärken. Sie fordern Reformen des politischen Systems, insbesondere zur Korruptionsbekämpfung oder zur Erhöhung des Bürgereinflusses auf die Politik, und sie behaupten, dass sie alleine den wahren Bürgerwillen repräsentieren.
Ein derart konzipierter allgemeiner Populismus kann ergänzt werden um spezifisch rechts- oder linkspopulistische inhaltlich-programmatische Einstellungen zur Politik. Dafür kann zum einen auf die politische (Selbst-) Verortung von Wählern und programmatischen Positionen auf einer Links/Rechts-Skala zurückgegriffen werden. Zur Messung von Rechtspopulismus werden darüber hinaus häufig konkrete Einstellungen gegen Migration, Minderheiten und Geschlechtergleichstellung, und für mehr „law and order“ verwendet. Typische linkspopulistische Einstellungen plädieren dagegen für stärkere Umverteilung oder Enteignung großer Vermögen, fordern mehr Teilhabe sozial benachteiligter Schichten der Bevölkerung, oder setzen sich aus pazifistischer Gesinnung für ein generelles Verbot von Waffenexporten.
Entlang solcher Messkonzepte lassen sich politische Parteien, ihre Programme und die Einstellungen von Politikern und Wählern empirisch analysieren, und nach ihrem Grad allgemein-populistischer Orientierung ebenso unterscheiden wie nach ihrer rechts- oder linkspopulistischen Ausrichtung. Prominente Beispiele für allgemein-populistische Bewegungen, die sich politisch-programmatisch weder links noch rechts verorten lassen, sind Nowoczesna in Polen sowie Ciudadanos in Spanien. Dem linkspopulistischen Muster vieler lateinamerikanischer Bewegungen ähnlich sind dagegen Podemos in Spanien und Syriza in Griechenland. Als Beispiele für Rechtspopulismus werden oft der Front National in Frankreich oder die UK Independence Party in Großbritannien genannt. Aber auch in Deutschland grassiert der (Rechts-) Populismus. Vor allem die 2013 neu entstandene Alternative für Deutschland (AfD) wird seit ihrer Gründung in der öffentlichen und medialen Diskussion häufig als rechtspopulistische Partei bezeichnet.
Aber wie rechtspopulistisch ist die AfD? Neuere Forschungen der Abteilung Demokratie und Demokratisierung konnten zeigen, dass die AfD auf der Ebene ihrer Kandidaten und ihres politischen Programms im Vergleich zu anderen Parteien eindeutig rechtspopulistisch ist. Ergänzend dazu untersucht der vorliegende Beitrag, ob das auch für die Wähler der AfD gilt. Wie rechtspopulistisch sind die etwa zehn Prozent aller Wahlberechtigten in Deutschland, die derzeit in Umfragen angeben bei der nächsten Bundestagswahl im September 2017 die AfD zu wählen?
Ausgewertet wurde dafür eine Repräsentativumfrage der wahlberechtigten Bevölkerung in Deutschland von Infratest dimap im Auftrag der Bertelsmann Stiftung. Im Zeitraum vom 13.-30. März 2017 wurden insgesamt 2.371 Wähler und Nichtwähler der Bundestagswahl 2013 nach ihren politischen Einstellungen und Wahlabsichten zur Bundestagswahl 2017 befragt, davon insgesamt 364 Wähler der AfD. Wie populistisch die AfD-Wähler eingestellt sind, wurde anhand der Zustimmung der Befragten zu acht verschiedenen allgemein-populistischen Aussagen gemessen, denen sie auf eine 4er Skala „voll und ganz“, „eher“, „eher nicht“ oder „überhaupt nicht“ zustimmen konnten. Die acht allgemein-populistischen Testaussagen lauteten:
- Wichtige Fragen sollten nicht von Parlamenten, sondern in Volksabstimmungen entschieden werden.
- Die Bürger sind sich oft einig, aber die Politiker verfolgen ganz andere Ziele.
- Mir wäre es lieber, von einem einfachen Bürger politisch vertreten zu werden als von einem Politiker.
- Die Parteien wollen nur die Stimmen der Wähler, ihre Ansichten interessieren sie nicht.
- Die Politiker im Bundestag sollten immer dem Willen der Bürger folgen.
- Die Bürger in Deutschland sind sich im Prinzip einig darüber, was politisch passieren muss.
- Die politischen Differenzen zwischen den Bürgern und Politikern sind größer als die Differenzen der Bürger untereinander.
- Was man in der Politik ‚Kompromiss’ nennt, ist in Wirklichkeit nichts Anderes als ein Verrat der eigenen Prinzipien.
Während die Aussagen 2, 3, 4 und 7 den Antagonismus zwischen politischer Elite und Bürgern und damit die Anti-Establishment-Dimension populistischer Einstellungen anspricht, bilden die Aussagen 1, 5, 6 und 8 eher die Idee der Bürger als homogener Einheit und damit die Anti-Pluralismus-Dimension des Populismus ab. Nach ihrem Grad der Zustimmung zu diesen acht Aussagen wurden drei Gruppen definiert: Als populistisch wurden Befragte definiert, die allen acht Aussagen „voll und ganz“ oder „eher“ zustimmen. Als populismusaffin wurden Befragte definiert, die mindestens der Mehrheit der Aussagen (fünf aus acht) zustimmen und gleichzeitig keiner der Aussagen überhaupt nicht zustimmen. Alle anderen Befragten, die nicht mehr als der Hälfte der Aussagen zustimmen und/oder mindestens einer Aussage überhaupt nicht zustimmen, wurden als unpopulistisch definiert. Zur Messung ihrer Rechtsorientierung wurde auf die Selbsteinschätzung der befragten AfD-Wähler auf einer Links/Rechts-Skala zurückgegriffen, bei der sie ihren persönlichen Standpunkt auf einer Skala von 0 bis 10 verorten konnten, wobei 0 für „links“ und 10 für „rechts“ stand. Ergänzend dazu wurden typisch rechte Aussagen zu ausgewählten politischen Themen betrachtet.
Auf dieser Grundlage ergab sich zur empirischen Verortung der AfD-Wähler vor der Bundestagswahl 2017 das folgende Bild: Deutlich mehr als die Hälfte (56 Prozent) aller AfD-Wähler sind nach der hier verwendeten Definition Populisten, ein weiteres Drittel (32 Prozent) ist populismusaffin. Fast neun von zehn (88 Prozent) aller AfD-Wähler vertreten somit populistische Einstellungen. AfD-Wähler sind damit deutlich populistischer als der Durchschnitt aller Wahlberechtigten. Allein der Anteil an Populisten ist bei den Wählern der AfD etwa doppelt so groß wie bei allen Wahlberechtigten (29 Prozent). Spiegelbildlich ist der Anteil der Nicht-Populisten unter allen Wahlberechtigten mit 41 Prozent mehr als dreimal so groß wie unter AfD-Wählern (12 Prozent). Auch im Vergleich der Parteien hat die AfD mit großem Abstand die am stärksten populistisch eingestellten Wähler. Den 56 Prozent populistischer AfD-Wähler stehen bei der SPD (29 Prozent), der Linken (23 Prozent), der FDP (22 Prozent), der CDU/CSU (14 Prozent) und den Grünen (10 Prozent) deutlich geringere populistische Wähleranteile gegenüber. Der Anteil unpopulistischer Wähler ist bei der AfD dagegen mit lediglich knapp 12 Prozent bei weitem geringer als bei den Grünen (57 Prozent), der CDU/CSU (56 Prozent), der FDP (43 Prozent), der SPD (38 Prozent) und der Linken (36 Prozent).
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Selbsteinschätzung der AfD-Wähler auf der Links/Rechts-Skala (0=“links“ und 10=“rechts“). Mehr als zwei Drittel (67 Prozent) aller AfD-Wähler verorten sich selbst rechts von der Mitte. Ein Viertel (25 Prozent) der AfD-Wähler sogar im am weitesten rechten Spektrum der Skala (8-10), weitere 42 Prozent im mitte-rechts Spektrum (6-7).
Im Vergleich dazu verorten sich nur vier von zehn Wählern der FDP und lediglich jeder dritte Wähler der CDU/CSU rechts von der Mitte, sowie lediglich jeweils 7 Prozent der Wähler von FDP und CDU/CSU im ganz rechten Spektrum. Auch der Mittelwert der Links/Rechts-Orientierung liegt mit 6,6 für die Wähler der AfD deutlich weiter rechts als bei der FDP (5,5), der CDU/CSU (5,3), der SPD (4,2), den Grünen (3,4) und der Linken (2,2). Dasselbe Bild zeigt sich auch bei typisch rechten Einstellungen zu konkreten politischen Themen. AfD-Wähler stimmen mit 85 Prozent deutlich häufiger voll und ganz der Aussage „Einwanderer sollten verpflichtet werden, sich der deutschen Kultur anzupassen“ zu als im Durchschnitt aller Wahlberechtigten (55 Prozent). Fast ebenso häufig (84 Prozent) stimmen AfD-Wähler der Aussage „Menschen, die gegen Gesetze verstoßen, sollten härter bestraft werden“ voll und ganz zu, gegenüber 64 Prozent aller Wahlberechtigten. Noch deutlicher zeigen sich die Unterschiede bei der Aussage „Deutschland sollte keine weiteren Flüchtlinge aus Krisengebieten aufnehmen“, der fast drei Viertel aller AfD-Wähler (74 Prozent) voll und ganz zustimmen, gegenüber weniger als ein Drittel (30 Prozent) aller Wahlberechtigten.
Zusammenfassend zeigt sich: Fast neun von zehn AfD-Wählern sind populistisch eingestellt, und mehr als zwei Drittel verorten sich rechts von der Mitte. Die Wahrscheinlichkeit eines Wahlberechtigten die AfD zu wählen, steigt mit seinem zunehmenden Grad der Rechtsorientierung und seiner Populismusneigung von nahe Null Prozent bei linken Nicht-Populisten auf mehr als 60 Prozent bei stark rechtsorientierten Populisten. Ein typischer Rechtspopulist hat damit eine um weit mehr als das 6-fache höhere Wahrscheinlichkeit die AfD zu wählen als der Durchschnitt aller Wähler. Umgekehrt formuliert, ist der typische AfD-Wähler somit ein Rechtspopulist, und die AfD ist auch mit Blick auf ihre Wählerschaft eine eindeutig rechtspopulistische Partei.
„Rechtspopulistisch“ im Sinne der hier verwendeten Definitionen bedeutet aber weder zwangsläufig „rechtsextrem“ noch prinzipiell „demokratiefeindlich“. Wie groß der Anteil rechtsextremer Wähler der AfD ist, wurde mit dem vorliegenden Messkonzept nicht explizit gemessen. Und immerhin mehr als acht von zehn Wählern der AfD stimmte der Aussage „Die Demokratie ist – alles in allem – das beste politische System“ entweder „voll und ganz“ (37 Prozent) oder zumindest „eher“ (47 Prozent) zu. Nur 14 Prozent stimmten der Aussage „eher nicht“ zu, und lediglich 2 Prozent „überhaupt nicht“. Die mehrheitlich rechtspopulistischen Wähler der AfD sind also ganz überwiegend keine Feinde der Demokratie, vertreten aber deutlich häufiger rechte inhaltlich-programmatische Positionen, und sind vor allem deutlich populistischer in ihren Urteilen über das Funktionieren der Demokratie, ihren herrschenden Institutionen und ihrem derzeitigen Personal. Auch für die Wählerschaft der AfD gilt deshalb, was sich bereits für ihre Kandidaten und ihr Programm gezeigt hat: Der Markenkern der AfD ist ihr Rechtspopulismus. Mit der AfD hat sich in der deutschen Parteienlandschaft vor der Bundestagswahl 2017 eine auch in der empirischen Verortung ihrer Wählerschaft eindeutig rechtspopulistische Partei etabliert.
Literatur:
Kaltwasser, Cristóbal Rovira: The ambivalence of populism: threat and corrective for democracy, in: Democratization, 19, 2/2012, S.184-208.
Lewandowsky, Marcel/Giebler, Heiko/Wagner, Aiko: Rechtspopulismus in Deutschland. Eine empirische Einordnung der Parteien zur Bundestagswahl 2013 unter besonderer Berücksichtigung der AfD, in: Politische Vierteljahresschrift, 57, 2/2016, S.247-275.
Mudde, Cas: The Populist Zeitgeist, in: Government & Opposition, 39, 4/2004, S.541-563.
Müller, Jan-Werner: Was ist Populismus? – Ein Essay, Suhrkamp Verlag Berlin 2016.
Vehrkamp, Robert/Wratil, Christopher: Die Stunde der Populisten? – Populistische Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern vor der Bundestagswahl 2017, Studie der Bertelsmann Stiftung, Gütersloh 2017.