Von Aiko Wagner, WZB, aiko.wagner@wzb.eu
Dass der Wahlerfolg Donald Trumps, der FPÖ, des Front National oder der AfD das Augenmerk der politischen Diskussion auf „den Populismus“ gelegt haben, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. Tatsächlich scheint es seit einiger Zeit eine neue Erfolgswelle populistischer Akteure zu geben. Diese Erfolge lassen die Frage nach den Ursachen virulent werden. Auch WZB-Forscher Aiko Wagner hat sich für diesen Blogbeitrag eben jene Frage gestellt. Die Antwort, die er in den Daten der German Longitudinal Election Study (GLES – Roßteutscher et al. 2017) findet, hat ausnahmsweise nichts mit der vielzitierten Repräsentationslücke zu tun.
Etwas vereinfacht formuliert stehen zwei Erklärungsansätze nebeneinander. Der erste besagt, dass durch Änderungen in den politischen Präferenzen der BürgerInnen und/oder durch Änderungen der Positionen der politischen Parteien Bevölkerungsinteressen nicht (mehr) durch die etablierten Parteien vertreten seien (Repräsentationslücke) (http://www.faz.net/aktuell/politik/bundestagswahl/afd-im-bundestag-das-hat-die-politik-falsch-gemacht-15221929.html). Für den deutschen Fall zugespitzt: Die Bewegung der CDU in die Mitte hätte rechts einen Raum für die AfD geöffnet.
Wir wollen im Folgenden dem zweiten Ansatz folgen, wonach dem Erfolg der Populisten weniger politische Positionen als vielmehr populistische Einstellungen seitens der Bürgerinnen und Bürger zugrunde lägen. Der Erfolg der AfD sei eher dadurch zu erklären, dass sie das einzige Sprachrohr des ‚wahren Volks‘ gegenüber den als korrupt dargestellten Eliten seien. Populistische Einstellungen werden demnach im Anschluss an Muddes (2007) Konzeption von Populismus als eine dünne Ideologie definiert: Kernbestand dieser ist die Teilung der Gesellschaft in zwei homogene, sich diametral gegenüberstehende Gruppen – Volk und Elite. Der ‚kleine Mann‘ erhält durch populistische Parteien Unterstützung bei der angestrebten (Wieder-)Herstellung der missbrauchten Volkssouveränität. Das Volk wird als monolithischer Block vorgestellt, in dem keine legitimen und relevanten gesellschaftlichen Spaltungs- oder Spannungslinien existieren, weshalb es ein Einfaches wäre, die volonté générale zu exekutieren, z.B. durch Instrumente der direkten Demokratie oder einen starken (und integren) Anführer. Damit sind diese Einstellungen nur schwer mit einer repräsentativen, auf Kompromissfindung ausgelegten Mehrebenendemokratie wie der der Bundesrepublik kompatibel.
Im Rahmen einer Bevölkerungsumfrage der German Longitudinal Election Study (GLES – Roßteutscher et al. 2017) haben wir die Befragten um ihre Einschätzung zu einigen Aussagen gebeten, wie sie von Akkerman et al. (2014) vorgeschlagen wurden. Diese waren:
(A) Was in der Politik Kompromiss genannt wird, ist in Wirklichkeit nur ein Verrat von Prinzipien.
(B) Das Volk, und nicht die Politiker, sollte die wichtigsten Entscheidungen treffen.
(C) Die Abgeordneten des Deutschen Bundestags müssen dem Willen des Volkes Folge leisten.
(D) Die politischen Unterschiede zwischen Eliten und dem Volk sind größer als die Unterschiede innerhalb des Volkes.
(E) Ein Bürger wurde besser meine Interessen vertreten als ein Berufspolitiker.
(F) Die Politiker reden zu viel und machen zu wenig.
Die Antwortmöglichkeiten lauteten jeweils:
- stimme voll und ganz zu
- stimme eher zu
- teils/teils
- lehne eher ab
- lehne voll und ganz ab
Damit sollen sowohl die dem Populismus eigene Skepsis gegenüber politischen Eliten und den im politischen Prozess alltäglichen Kompromissen als auch die moralische Überlegenheit des Volkes abgebildet werden. Aus diesen sechs Items wurde ein Faktor gebildet, den wir im Folgenden Populismus nennen wollen. Ähnlich wie dies Laurenz Ennser-Jedenastik für Österreich gezeigt hat (https://derstandard.at/2000076538862/Echte-Populisten-waehlen-Strache-nicht-Kurz), fragen wir im Folgenden: Wie populistisch waren die Wählerinnen und Wähler der deutschen Parteien? Wessen WählerInnenschaft weist die stärksten, wessen die geringsten populistischen Einstellungen auf?
In der Abbildung sind die Mittelwerte populistischer Einstellungen der jeweiligen ParteiwählerInnen sowie die 95%-Vertrauensintervalle dargestellt. Ein wenig überraschender Befund ist der Wert für die AfD. Die populistischste Partei im bundesdeutschen Parteiensystem (vgl. Lewandowsky et al. 2016) hat auch die populistischsten WählerInnen. Die Grünen haben die mit Abstand am wenigsten populistischen WählerInnen, gefolgt von CDU, CSU, FDP, SPD und Linke. NichtwählerInnen sind nicht nur signifikant weniger populistisch als die WählerInnen der AfD, sondern auch signifikant populistischer als die WählerInnen der anderen relevanten Parteien in der Bundesrepublik.
Festzuhalten bleibt damit, dass der deutsche Bundestag nach der Wahl 2017 mit der AfD nicht nur eine klar rechte Partei aufweist, sondern zudem eine Partei mit klar populistischen WählerInnen. Die Linke dagegen, die in vergleichenden Studien hin und wieder ebenfalls als populistische Partei geführt wird (z.B. van Kessel 2015), hat zumindest kein sonderlich populistisches Elektorat. Die am wenigsten populistischen WählerInnen finden sich bei den Grünen, die der antagonistischen Gegenüberstellung zwischen homogenem Volk und korrupter Elite offenbar am wenigsten abgewinnen können. Ob diese populistischen Einstellungen ein dauerhaftes, stabiles Phänomen der bundesdeutschen Gesellschaft darstellen oder ob sie in den kommenden Jahren bzw. Jahrzehnten abklingen, bleibt abzuwarten.
Bibliographie
Akkerman, Agnes, Cas Mudde und Andrej Zaslove (2014): How Populist Are the People? Measuring Populist Attitudes in Voters. Comparative Political Studies 47, 1324-1353.
Lewandowsky, Marcel, Heiko Giebler und Aiko Wagner (2016): Rechtspopulismus in Deutschland. Eine empirische Einordnung der Parteien zur Bundestagswahl 2013 unter besonderer Berücksichtigung der AfD. Politische Vierteljahresschrift 57, 247-275.
Mudde, Cas (2007): Populist radical right parties in Europe. Cambridge, Mass.: Cambridge University Press.
Roßteutscher, Sigrid, Harald Schoen, Rüdiger Schmitt-Beck, Bernhard Weßels, Christof Wolf und Aiko Wagner (2017): Nachwahl-Querschnitt (GLES 2017). GESIS Datenarchiv, Köln: ZA6801 Datenfile Version 2.0.0, doi:10.4232/1.12991.
van Kessel, Stijn (2015): Populist Parties in Europe: Agents of Discontent? Basingstoke: Palgrave Macmillan.
Dr. Aiko Wagner arbeitet seit 2009 in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung im Rahmen der „German Longitudinal Election Study“ (GLES). In Forschung und Lehre befasst er sich mit Themen der politischen Einstellungs- und Verhaltensforschung, der Repräsentation und des politischen Wettbewerbs.