Für eine gerechte Gesellschaft: Wie Anerkennung und Umverteilung zusammengedacht werden können

von Vanessa Wintermantel

Konflikte um soziale und nationalstaatliche Grenzen stellen linke Parteien vor die Frage, wie Umverteilungs- und Anerkennungspolitik verknüpft werden können. Vanessa Wintermantel, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung“, erörtert in diesem Beitrag, wie ein solches neues linkes Projekt mit dem Ziel einer gerechteren, pluralistischen Gesellschaft aussehen könnte: Es sollte sowohl die sozioökomische Ungleichheit als auch gruppenspezifische Formen der Benachteiligung bekämpfen, um alle Benachteiligten zu befähigen, sich als handelnde Subjekte in eine gerechte und offene soziale und politische Gemeinschaft einzubringen.

Foto: stephan-roehl.de

Fast eine Viertelmillion Menschen gingen am 13. Oktober in Berlin auf die Straße um unter dem Motto #unteilbar gegen Diskriminierung, Verarmung, Rassismus, Sexismus, Entrechtung und Nationalismus zu demonstrieren. Eine Organisation war bemerkenswerterweise nicht offiziell vertreten: „Aufstehen“, wenige Wochen zuvor als linke Sammlungsbewegung gegründet, beteiligte sich nicht. Seine prominenteste Vertreterin Sahra Wagenknecht erklärte das Fernbleiben damit, dass nicht alle „Aufstehen“-Unterstützer*innen die Forderung des #unteilbar-Bündnisses nach offenen Grenzen teilten. Eine explizite Forderung nach offenen Grenzen sucht man im Aufruf zu #unteilbar zwar vergeblich. Die Frage der Grenzen ist dennoch zentral – für einen Konflikt, der mit dem klassischen Links-Rechts-Schema der Politik nicht zu verstehen ist, sondern als neue politische Konfliktlinie (nachzulesen u.a. hier: Merkel 2017) zwischen globaldenkenden Kosmopolit*innen und nationaldenkenden Kommunitarist*innen beschrieben wird. Als Auslöser dieses Konflikts wird die Globalisierung verstanden: Während Kosmopolit*innen sie und den mit ihr verbundenen Abbau von Grenzen befürworten, stehen Kommunitarist*innen ihr kritisch gegenüber. In dem Konflikt geht es dabei nicht nur um die Grenzen des Nationalstaats, sondern auch um die Öffnung sozialer Grenzen der Zugehörigkeit.

Für linke Parteien wirft dieser Konflikt die Frage auf, wie sie klassische Umverteilungspolitik und eine Anerkennungspolitik, die die gleiche Teilhabe von benachteiligten Gruppen anstrebt, zusammendenken können. Umverteilungspolitik strebt traditionellerweise eine gerechte Verteilung von Ressourcen im nationalen Rahmen an. Eine Politik der Anerkennung verfolgt das Ziel, benachteiligte Gruppen – unter Berücksichtigung ihrer besonderen Lebensumstände – eine gleiche Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Anerkennungspolitik baut institutionalisierte diskriminierende Denk- und Handlungsmustern ab, die Menschen, die etwa von Rassismus, Homophobie oder Sexismus betroffen sind, ausgrenzen. Wie linke Parteien Umverteilungs- und Anerkennungspolitik kombinieren und sich damit in diesem Konflikt positionieren können, soll das Thema dieses Beitrags sein.

Hat Anerkennungspolitik die soziale Frage verdrängt?

Manche linke Politiker*innen und Theoretiker*innen kritisieren eine neoliberale Vereinnahmung der Anliegen einer Anerkennungspolitik, die sie daher als „reine Identitätspolitik“, die die soziale Frage vernachlässige, ablehnen. In ihrem Gastbeitrag in der ZEIT vom 6. Juni 2018 erklärt Sahra Wagenknecht gemeinsam mit Dramaturg und Buchautor Bernd Stegemann die mangelnde Zustimmung zu linken Parteien in Deutschland mit deren Schwierigkeit sich aus dem Neoliberalismus zu befreien. Diese Schwierigkeit ergebe sich aus einem „Zusammenspiel linker Moral und neoliberaler Interessen“, das auf die „Schlagworte Grenzenlosigkeit und Diversität“ setze. Diese Verknüpfung eines entgrenzten Neoliberalismus mit den Moralvorstellungen der Privilegierten verschleiere „die realen Verteilungskämpfe“ um knappe Ressourcen zwischen „den Armen“ und „den Flüchtlingen“. Sie leugne die Tatsache, dass es „den ‚Flüchtling‘ eben zweimal gibt“: als Schutzbedürftigen und als Arbeitsmigranten, „dessen unbekanntes Verhalten zu Verunsicherung führen kann“.

Eine ähnliche Analyse stellte Nancy Fraser, Philosophin und eine der bekanntesten US-amerikanischen Feminist*innen, in einem 2016 erschienen Artikel anlässlich der Wahl Donald Trumps vor. Die Wählerschaft Trumps habe vor allem den „progressiven Neoliberalismus“, der seit der Wahl Bill Clintons in den USA vorherrsche, abgewählt. Dieser vermische „gestutzte Emanzipationsideale“ mit „tödlichen Formen der Finanzialisierung“. Der progressive Neoliberalismus verstehe Emanzipation nicht als Abschaffung sondern lediglich als „Diversifizierung von Unternehmenshierarchien“. Diese Art progressiver Politik habe den sogenannten „Rostgürtel“ rechts liegen gelassen und linke Ideale dem Neoliberalismus geopfert. Auf Grundlage ihrer Analyse riet Nancy Fraser vor allem allen Feminist*innen, im Konflikt zwischen einem „reaktionären Populismus“ Donald Trumps und dem „progressiven Neoliberalismus“ – repräsentiert durch die Clintons – keine der beiden Seiten zu unterstützen.

Beiden Analysen ist gemein, dass sie suggerieren, dass die emanzipatorischen Fortschritte neuer sozialer Bewegungen bzw. der humanitäre Anspruch, Fliehende nicht nur notzuversorgen, sondern ihnen auch langfristig Bleibe-, Arbeits- und Lebensperspektiven zu bieten, dafür verantwortlich seien, dass sich die sozioökomische Ungleichheit in den letzten Jahren verstärkt hat. Verteilungskämpfe spielen sich dieser Ansicht nach also nicht nur zwischen unten und oben, sondern vor allem auch zwischen innen und außen ab. Denjenigen, die diese Sichtweise kritisieren, unterstellen sie moralische Überheblichkeit und neoliberal motivierte Grenzenlosigkeit. Sie werfen ihnen vor, die soziale Frage in den letzten Jahren vor lauter Identitätspolitik vernachlässigt zu haben. Als Reaktion auf diese Wahrnehmung möchten Fraser und Wagenknecht dieser nun wieder den Vorzug geben und setzen aus diesem Grund auf Umverteilung. Sicherlich möchten sie Umverteilungs- und Anerkennungspolitik nicht gegeneinander ausspielen. Allerdings riskieren sie, dass genau dies passiert, wenn sie das von ihnen wahrgenommene Ungleichgewicht zugunsten der Anerkennung in eines zugunsten der Umverteilung verschieben, statt ein neues Narrativ zu entwickeln, das emanzipatorischen Fortschritt, Humanitarismus und die Interessen der Sozialbenachteiligten miteinander vereint.

Eine Politik der Anerkennung ist mehr als „reine Identitätspolitik“

Da es bei der Anerkennung nicht um die Aufteilung begrenzter Ressourcen, sondern um die symmetrische Gleichbewertung aller Mitglieder einer Gesellschaft geht, beschreibt sie anders als die Politik der Umverteilung kein Nullsummenspiel. So muss kein Arbeiter in einer strukturschwachen Region um seine Rente fürchten, weil homosexuelle Paare seit Kurzem heiraten dürfen oder Racial Profiling in den USA (mehr oder weniger effektiv) verboten ist. Gleichzeitig ist die Anerkennung einer benachteiligten Gruppe und ihrer besonderen Lebensumstände die Voraussetzung dafür, dass diese Gruppe bei der Umverteilung gerechterweise berücksichtigt werden kann. Es ist also richtig, dass eine Politik der Anerkennung den Kreis der rechtmäßigen Empfänger*innen von Umverteilung durchaus erweitern kann. Viel fundamentaler ist jedoch ihr Anspruch der Gleichbewertung aller Mitglieder einer Gesellschaft sowie des aktiven Abbaus von Barrieren, die es etwa Menschen mit Rassismus- oder Homophobieerfahrung erschweren, sich als gleichwertige Subjekte in die Gemeinschaft einzubringen.

Iris Marion Young (1990), wie Fraser US-amerikanische Politische Theoretikerin und Feministin, bezeichnete das Verständnis sozialer Gerechtigkeit als reine Verteilung von Ressourcen als „Umverteilungsparadigma“. Es verschleiere, so Young, dass sich viele Formen struktureller Benachteiligung nicht allein durch Umverteilung lösen lassen. Wenn man das Konzept der Umverteilung über materielle Güter hinaus auf relationale Konzepte wie Macht oder nicht quantifizierbare Dinge wie Chancen oder körperliche Unversehrtheit auszuweiten versuche, stoße es an seine Grenzen. So hilft Umverteilung nicht gegen institutionellen Rassismus, sexuelle Belästigung oder strukturelle Benachteiligung bei der Wohnungs- oder Arbeitssuche. Diesen kann nur durch eine konsequente Antidiskriminierungspolitik entgegengewirkt werden. Außerdem, so stellte Young heraus, operiere das Konzept der Umverteilung im Rahmen jenes Individualismus, der häufig dem Kosmopolitismus vorgehalten wird: er adressiert Sozialbenachteiligte primär als individuelle Empfänger*innen von Umverteilung und nicht als Mitglieder einer unterdrückten sozialen Gruppe. Daher spricht sich Young für einen Gerechtigkeitsbegriff aus, der Formen der Unterdrückung in den Vordergrund stellt.

Wer den Einsatz gegen diese als „Identitätspolitik“ oder moralische Überheblichkeit vom Tisch fegt, verkennt, dass sie ein reales Hindernis für gleiche Teilhabe an der Gesellschaft, und damit für eine gerechte Gesellschaft, darstellen. Einer Politik der Anerkennung, die auf gleiche Teilhabe benachteiligter Gruppen setzt, vorzuwerfen, dass sie ihre Erfolge bisher unter Vorzeichen des Neoliberalismus feiern musste, ist daher wenig hilfreich. Vielmehr muss ein Narrativ entwickelt werden, das Anerkennungs- und Umverteilungspolitik zusammendenkt.

Ein neues Narrativ sozialer Gerechtigkeit

Wie könnte ein solches Narrativ aussehen? Kurz gesagt müsste es (1) sowohl sozialpolitische Probleme wie den Mangel an bezahlbarem Wohnraum als auch gruppenspezifische Formen der Benachteiligung wie Rassismus oder Homophobie problematisieren, (2) aufklären, dass es möglich ist, gruppenspezifische Formen der Benachteiligung zu bekämpfen, ohne dabei die sozioökomische Ungleichheit aus den Augen zu verlieren, und (3) ein pluralistisches Projekt entwickeln, dass eine Teilhabe von allen Gruppen von Marginalisierten anstrebt. Ein solches Projekt wäre der erste Schritt, um alle Benachteiligten zu befähigen, sich als handelnde Subjekte in eine gerechte und offene soziale und politische Gemeinschaft einzubringen.

(1) Gegen alle Formen der Benachteiligung

Ein zeitgemäßes linkes Narrativ, das eine gerechte Gesellschaft anstrebt, muss sowohl gegen die sozioökomische Ungleichheit als auch gegen gruppenspezifische Formen der Benachteiligung vorgehen. Beide Formen der Marginalisierung lassen sich dabei weder ineinander übersetzen, noch können alle Probleme durch reine Umverteilung gelöst werden. Ein Beispiel macht das deutlich: Viele Menschen in deutschen Großstädten finden keinen bezahlbaren Wohnraum. Dieses Problem betrifft alle Menschen mit geringem Einkommen, die in einer Großstadt eine Wohnung suchen. Um den Mangel an bezahlbarem Wohnraum zu beheben, werden mehr Sozialwohnungen benötigt, gerechtere Gehälter und bessere Gesetze, die die Mietpreisexplosion wirksam bremsen. Neben dem geringen Einkommen gibt es allerdings noch weitere, gruppenspezifische Formen der Benachteiligung, die die Wohnungssuche erschweren können. Hat eine Wohnungssuchende neben einem geringen Einkommen (und unter sonst gleichen Umständen) etwa einen ausländisch klingenden Nachnamen, muss sie als alleinerziehende Mutter mit drei Kindern die Wohnung von einem einzigen Gehalt bezahlen oder benötigt sie eine barrierefreie Wohnung, so gestaltet sich ihre Suche ungleich schwerer. Darüber hinaus erschwert die Arbeitsmarktdiskriminierung auf Grund derselben Merkmale auch den Zugang zu einem höheren Gehalt maßgeblich. Das führt dazu, dass Personen mit den genannten Merkmalen häufiger als andere mit einem geringeren Gehalt auskommen müssen. Eine Sichtbarmachung dieser strukturellen Formen der Benachteiligung beruht nicht auf moralischer Überheblichkeit und kann auch nicht als „Diversifizierung“ des Neoliberalismus trivialisiert werden. Sie ist notwendig, um allen Marginalisierten eine gleiche Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen.

Ein Narrativ, das Anerkennungs- und Umverteilungspolitik zusammendenkt, muss aufdecken, wie sozioökomische Ungleichheit einerseits und Sexismus, Rassismus und andere Formen der Diskriminierung andererseits zusammenspielen und sich – beispielsweise im Fall der Wohnungssuche – sogar verstärken. Dass viele Menschen von mehreren Formen der Marginalisierung gleichzeitig betroffen sind, zeigt auch ein Blick auf die Sozialstruktur der armutsgefährdeten Menschen in Deutschland: So sind Menschen mit Migrationshintergrund oder alleinerziehende Mütter deutlich häufiger armutsgefährdet als Deutsche ohne Migrationshintergrund oder Familien mit zwei Elternteilen[1]. Von einem Gegeneinander kann also keine Rede sein, denn empirisch überlappen sich die Gruppen der von Armut betroffenen Menschen und derer, die (zusätzlich) andere Formen der Diskriminierung erfahren.

Zweifellos gehören zu den benachteiligten Gruppen nicht nur Menschen mit Migrationshintergrund und alleinerziehende Familien, sondern auch Menschen, die in strukturschwachen Gegenden (z.B. in Ostdeutschland oder im US-amerikanischen „Rostgürtel“) leben. Um ihr entgegenzuwirken, muss auch die Benachteiligung dieser Menschen sichtbar gemacht werden.

(2) Für eine gerechte, offene soziale und politische Gemeinschaft

Ein neues linkes Narrativ darf keine Ängste vor Verteilungskämpfen zwischen den verschiedenen Gruppen der Benachteiligten schüren. Es zeichnet sich durch eine gute Sozialpolitik für alle aus und wirkt stereotypen und diskriminierenden Denk- und Handlungsmustern mit einer wirksamen Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik entgegen. Es klärt auf, dass sich die Ziele von Sozial- und Gleichstellungspolitik weder widersprechen noch zwangsläufig miteinander konkurrieren.

Es ist grundlegend herauszustellen, dass nicht der Zuzug von Geflüchteten der Auslöser von Problemen wie zu geringem Einkommen, Wohnungsnot und niedriger Rente ist, sondern, dass diese die Konsequenz einer Politik sind, die beispielsweise auf den Ausbau des Leiharbeitssektors, die Vermarktlichung von Wohnraum und den Abbau von sozialen Sicherungssystemen gesetzt hat. Arbeitsmigrant*innen sind nicht die Verbündeten einer „neoliberalen Grenzenlosigkeit“, sondern ihre Opfer: Asymmetrische Freihandelsabkommen, freier Handel ohne Reisefreiheit und Waffenhandel mit undemokratischen Regimen entziehen Menschen im globalen Süden ihre Lebensgrundlage und gefährden ihre Unversehrtheit.

Der Zuzug von Geflüchteten nach Deutschland belastet den Sozialstaat in der derzeit ausgesprochen guten wirtschaftlichen Lage nur in einem überschaubaren Maß. Da Geflüchtete nicht nur als Sozialschmarotzer*innen gelten, sondern paradoxerweise gleichzeitig auch für eine angeblich verschärfte Lage auf dem Arbeitsmarkt verantwortlich gemacht werden, muss betont werden, dass die Arbeitsmarktlage in Deutschland heute so gut ist, dass manche Branchen sogar einen Arbeitskräftemangel vermelden. Dieser könnte womöglich teilweise durch den Zuzug der Geflüchteten gelindert werden. Ohne jedoch, dass ihre Vulnerabilität eine Ausbeutung in unterbezahlten Jobs, die sonst niemand machen möchte, zur Folge haben sollte.

Allzu oft wird die Wahl rechtsextremer, rassistischer Parteien mit der Sorge ihrer Wähler*innen vor Verteilungskämpfen zwischen sozioökonomisch schlecht gestellten Menschen und den zugezogenen Geflüchteten entschuldigt. Ein Artikel, der auf Daten des Sozioökomischen Panels (SOEP) beruht, zeigt hingegen, dass die Unterstützung der AfD nicht durch geringes Einkommen, Berufsprestige, Bildung, Arbeitslosigkeit oder Unzufriedenheit mit dem eigenen Einkommen oder der allgemeinen Wohlstandsentwicklung erklärt werden können. Sie beruht auf einer ausländerfeindlichen Einstellung – unabhängig von der persönlichen ökonomischen Lage. Das zeigt, wie wichtig es ist, dass ein neues linkes Narrativ nicht versucht, Rassismus und andere Formen der Ausgrenzung zu entschuldigen, sondern unmissverständlich Stellung gegen diese bezieht.

(3) Ein pluralistisches Projekt aller Benachteiligten

Ein zeitgemäßes linkes Narrativ entwickelt ein pluralistisches Projekt aller Gruppen von Benachteiligten. Wie könnte ein solches Projekt aussehen? In ihrem Gastbeitrag in der ZEIT nennen Sahra Wagenknecht und Bernd Stegemann Podemos in Spanien, La France insoumise in Frankreich und die Labour Party mit Jeremy Corbyn in Großbritannien als erfolgreiche Beispiele linker Bewegungen. Tatsächlich könnten diese als Vorbild dienen – gerade weil sie keine Verteilungskämpfe zwischen verschiedenen Gruppen von Benachteiligten behaupten, sondern sich auf die Verteilung von oben nach unten konzentrieren. Neben sozialpolitischen Reformvorschlägen finden sich so im Programm von Podemos die Forderungen nach einem Wahlrecht für dauerhaft in Spanien lebende Migrant*innen, nach einem Antidiskriminierungsgesetz für Frauen und sexuelle Minderheiten und nach der Förderung der Wahl einer Frau zur nächsten Generalsekretärin der UNO.

La France Insoumise fordert unter anderem die Legalisierung aller Arbeiter*innen ohne Papiere, die Abschaffung des Patriarchats, und die Gleichstellung von Frauen- und Männersport (auch bei Fernsehübertragungen!). Die Labour Party beschreibt sich als „the party of equality”, die sich u.a. für das Recht von Frauen, auf legale und sichere Abtreibungen, Workshops für alle Lehrer*innen im Umgang mit jugendlichen LGBTs, gegen die „ethnicity pay gap“ sowie gegen die Stigmatisierung von Menschen mit Behinderung einsetzt. Diese Bewegungen sind nicht trotz, sondern wegen ihrer klaren Bekenntnisse erfolgreich. Sie zeigen, dass es möglich ist, ein linkes Narrativ zu formulieren, das Fragen der Anerkennung und Umverteilung zusammendenkt und eine gerechte Gesellschaft für alle anstrebt. Dass es auch in Deutschland Sehnsucht nach einer solchen Bewegung gibt, hat die #unteilbar-Demonstration unlängst gezeigt.

[1] Im Jahr 2016 lag die Armutsgefährdungsquote bei Deutschen ohne Migrationshintergrund bei 12,1%, bei Deutschen mit Migrationshintergrund bei 28% und bei in Deutschland lebenden Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit sogar bei 35,5% (Statistisches Bundesamt 2018a). Während die Armutsgefährdungsquote bei Haushalten mit Kindern und zwei Erwachsenen bei 11,5% lag, lag sie bei Familien mit einem alleinerziehenden Elternteil (in fast allen Fällen der Mutter) bei 43,6% (Statistisches Bundesamt 2018b).


Literatur

DIE ZEIT (Nr. 24/2018, 7. Juni 2018): Linke Sammlungsbewegung: Von linker Moral und neoliberalen Interessen. Unser Plan für eine Sammlungsbewegung. Ein Gastbeitrag von Bernd Stegemann und Sahra Wagenknecht. Online verfügbar: https://www.zeit.de/2018/24/linke-sammlungsbewegung-sahra-wagenknecht-populismus/komplettansicht

Fraser, Nancy (2016): Progressive Neoliberalism versus Reactionary Populism: A Choice that Feminists Should Refuse. In: Nordic Journal of Feminist and Gender Research, 24:4, 281-284.

Labour Party (2018): Our plan for a better, fairer Britain. Online verfügbar: https://labour.org.uk/issues/

La France Insoumise (2018): La collection des «Livrets de la France insoumise». Online verfügbar: https://avenirencommun.fr/livrets-thematiques/

Merkel, Wolfgang (2017): Kosmopolitismus versus Kommunitarismus: Ein neuer Konflikt in der Demokratie. In: Harfst P., Kubbe I., Poguntke T. (Hrg.:) Parties, Governments and Elites. Vergleichende Politikwissenschaft. Wiesbaden: Springer VS, 9-23.

Schröder, Martin (2018): AfD-Unterstützer sind nicht abgehängt, sondern ausländerfeindlich. SOEP papers on Multidisciplinary Panel Data Research. Nr. 975-2018. Online verfügbar: https://www.diw.de/documents/publikationen/73/diw_01.c.595120.de/diw_sp0975.pdf.

Statistisches Bundesamt (2018a): Armutsgefährdungsquote in Deutschland nach Migrationshintergrund und Staatsangehörigkeit im Jahr 2016. Online verfügbar: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/436197/umfrage/armutsgefaehrdungsquote-in-deutschland-nach-migrationshintergrund/

Statistisches Bundesamt (2018b): Armutsgefährdungsquote in Deutschland nach Haushaltstyp im Jahr 2016. Online verfügbar: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/436185/umfrage/armutsgefaehrdungsquote-in-deutschland-nach-haushaltstyp/

Podemos (2018): Programa. Online verfügbar: https://lasonrisadeunpais.es/programa/

Young, Iris Marion (1990). Justice and the Politics of Difference. Princeton: Princeton University Press.


Vanessa Wintermantel ist wissenschaftliche Mitarbeiterin der Abteilung „Demokratie und Demokratisierung“ am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). In ihrer Dissertation befasst sie sich mit der Frage der Legitimität von Grenzen.

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