von Werner Krause & Aiko Wagner
Der Aufstieg populistischer Parteien in Europa scheint beispiellos â nur noch in den Parlamenten Portugals, Irlands und Luxemburgs sind keine populistischen Parteien vertreten. In allen anderen Demokratien Europas haben sich die selbsternannten Herausforderer des âEstablishmentsâ festgesetzt. Diese elektoralen Erfolge nicht-etablierter Parteien und die damit verbundenen Restrukturierungen der europĂ€ischen Parteiensysteme werfen die Frage nach den Ursachen auf. Die WZB-Forscher Werner Krause und Aiko Wagner gehen dieser Frage in einem jĂŒngst publizierten Artikel in der Zeitschrift Party Politics (Open Access) nach und finden, dass die GrĂŒnde fĂŒr die Wahl populistischer Parteien systematisch mit dem Grad der Etabliertheit dieser Parteien variiert: Nur bei jungen, nicht-etablierten Parteien fĂŒhrt Misstrauen in die nationalen Parlamente und fehlendes ResponsivitĂ€tsgefĂŒhl zur UnterstĂŒtzung â etablierte populistische Parteien profitieren davon dagegen nicht.
Die Parteiensysteme Europas haben in den vergangenen Jahren einen grundlegenden Wandel erfahren. Sie sind nicht nur diverser geworden und geben damit einem zunehmend fragmentierten Charakter des WĂ€hlerInnenwillens Ausdruck, sondern spiegeln auch eine weitgehende Skepsis gegenĂŒber âderâ politischen Elite wider. Die Stimmenanteile populistischer Parteien sind auf einem historischen Hoch und es gibt wenig Anzeichen fĂŒr eine Umkehr dieses Trends.
Ein zentraler Grund fĂŒr diesen Aufstieg â so eine weit verbreitete Position â ist ein sich verstĂ€rkendes Unbehagen der WĂ€hlerInnen mit der politischen Elite, ihrer ResponsivitĂ€t und den ReprĂ€sentationsmechanismen der liberalen Demokratie. In unserem Artikel hinterfragen wir die Ansicht, dass Unzufriedenheit mit einem der zentralen Mechanismen der reprĂ€sentativen Demokratie â der ResponsivitĂ€t â die populistischen AnhĂ€ngerInnen Europas eint. Diese ErklĂ€rung des Erfolgs populistischer Parteien einschrĂ€nkend zeigen wir, dass Anti-Eliten-Einstellungen lediglich fĂŒr die Wahl junger, wenig etablierter populistischer Parteien Bedeutung hat.
Elitenkritik und die Wahl populistischer Parteien
Es gehört zum Selbstbild populistischer Parteien, sich als regulierende KrÀfte angesichts einer sich vermeintlich zunehmend vom Wahlvolk entfremdenden Elite darzustellen. Auch in der öffentlichen Debatte um den Aufstieg populistischer Parteien ist eine Tendenz auszumachen, welche PopulistInnen als VerteidigerInnen des Volkswillens in der reprÀsentativen Demokratie identifiziert. Sie stellen in dieser Lesart ein Korrektur zu fortschreitenden Entfremdungsprozessen zwischen politischem Establishment und dem Volk dar.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wĂ€re zu erwarten, dass vornehmlich negative Einstellungen gegenĂŒber gegenwĂ€rtigen ReprĂ€sentationsmechanismen auch die AnhĂ€ngerInnen populistischer Parteien eint. Obwohl bisherige Arbeiten auf gesamteuropĂ€ischer Ebene gezeigt haben, dass fehlende ResponsivitĂ€tswahrnehmungen in der Tat ein bedeutendes Motiv populistischer Wahlentscheidung sind, zeigen lĂ€nderspezifische Betrachtungen eine gröĂere Varianz in dieser Frage. WĂ€hrend fehlendes Vertrauen in die politischen Eliten fĂŒr einige populistische Parteien tatsĂ€chlich von Bedeutung ist, kann ein solcher Effekt fĂŒr andere Parteien nicht beobachtet werden.
Ein Grund fĂŒr die variierende Bedeutung von Anti-Eliten Einstellungen fĂŒr die Wahl populistischer Parteien mag in der unterschiedlichen Etabliertheit der populistischen Parteien Europas liegen. Wiederholt konnte beispielsweise bei rechtspopulistischen Parteien in Folge von Wahlerfolgen – und somit mit einer zunehmenden Etabliertheit dieser Parteien â ein Wandel hinsichtlich ihrer AttitĂŒde gegenĂŒber etablierteren âEstablishmentâ-Parteien beobachtet werden. Beispielhaft hierfĂŒr steht die Reorientierung der dĂ€nischen RechtspopulistInnen: 1995 spaltete sich die DĂ€nische Volkspartei nicht vornehmlich aus einer programmatischen Motivik von der populistischen Fortschrittspartei ab, sondern aufgrund ihrer strategischen Ausrichtung. WĂ€hrend die Spitze der Fortschrittspartei auf Fundamentalopposition setzte, strebte der sich abspaltende FlĂŒgel eine stĂ€rkere Kooperation mit den etablierten nicht-populistischen Parteien an, um seinen Einfluss auf die dĂ€nische Politik zu erhöhen.
External Efficacy und die Etablierheit populistischer Parteien
In unserem Artikel Becoming Part of the Gang? gehen wir der Frage nach, ob die variierende Bedeutung von elitenkritischen Einstellungen fĂŒr die Wahl populistischer Parteien durch den unterschiedlichen Grad der Etabliertheit dieser Parteien erklĂ€rt werden kann. Unter Etabliertheit verstehen wir hierbei ein Zusammenspiel der drei Faktoren Parteialter, Stimmenanteil der Partei und Regierungsbeteiligungen. Sind alle drei Faktoren ausgeprĂ€gt, können wir von einer voll etablierten Partei sprechen. Dem entsprechen hohe Werte in Abbildung 1. Die untenstehende Abbildung illustriert die unterschiedlichen Werte fĂŒr alle im Jahr 2014 in Europa aktiven relevanten populistischen Parteien.
Abbildung 1
Wir testen, ob und in welchem MaĂe die UnterstĂŒtzung populistischer Parteien von der external efficacy der WĂ€hlerInnen abhĂ€ngt. Unsere Hypothese lautet, dass die Etabliertheit einer populistischen Partei den Effekt fehlender EffektivitĂ€tswahrnehmungen moderiert. Mit external efficacy ist hier die wahrgenommene Offenheit des politischen Systems fĂŒr die eigenen Anliegen der BĂŒrgerInnen gemeint. Die untenstehende Abbildung illustriert diesen Effekt. Es zeigt sich, dass die GröĂe des Effekts geringer EffektivitĂ€tswahrnehmung mit zunehmender Etabliertheit populistischer Parteien abnimmt: FĂŒr nicht-etablierte populistische Parteien fĂŒhrt eine geringe external efficacy zu vermehrter UnterstĂŒtzung (positiver Effektparameter). Je etablierter eine populistische Partei im jeweiligen Parteiensystem ist, desto geringer profitiert sie von dieser fehlenden EffektivitĂ€tswahrnehmung. Im Falle von populistischen Ein-Parteien-Regierungen (SMER in der Slowakei und Fidesz in Ungarn) wird der Effekt sogar negativ. Dies bedeutet, dass sich fehlende external efficacy auf Seiten der WĂ€hlerInnen sogar negativ auf die UnterstĂŒtzung dieser Parteien auswirken können. Im Gegensatz hierzu steigt im Fall von jungen, wenig etablierten Parteien die Wahrscheinlichkeit diese Partei zu unterstĂŒtzen, wenn WĂ€hlerInnen geringe Werte hinsichtlich ihrer EffektivitĂ€tswahrnehmung aufweisen.
Abbildung 2
Allerdings unterscheiden sich populistische Parteien nicht nur hinsichtlich ihrer tiefgreifen Elitenkritik und ihrer Forderung nach einer unmittelbaren Realisierung eines wie auch immer definierten âVolkswillensâ von den restlichen Parteien Europas. Sie proklamieren auch radikalere Positionen in ihren jeweiligen inhaltlichen Kerngebieten. Sei es die nachdrĂŒckliche Forderung nach der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums im Fall linkspopulistischer Parteien oder migrationsfeindlichen Positionen bei rechtspopulistischen Parteien.
Statt nur die EffektivitĂ€tswahrnehmungen zu betrachten, ziehen wir hier nun inhaltliche Positionen der WĂ€hlerInnen in Sachfragen in Betracht und testen, ob die Bedeutung dieser Faktoren ebenso mit den Etabliertheitsgraden populistischer Parteien variiert. Der linke Teil der untenstehenden Grafik zeigt den Zusammenhang fĂŒr radikale Positionen in den inhaltlichen Kernthemen populistischer Parteien. FĂŒr linkspopulistische Parteien sind dies Positionen hinsichtlich der Umverteilung gesellschaftlichen Reichtums und fĂŒr rechtspopulistische Parteien migrationspolitische Positionen. Im Gegensatz zur obigen Grafik verlĂ€uft die Regressionslinie nahezu waagerecht und legt somit keinen signifikanten Zusammenhang nahe. Wenn wir Positionen hinsichtlich der EuropĂ€ischen Union in Betracht ziehen (rechter Teil der Grafik), dreht sich der Effekt um: FĂŒr etabliertere populistische Parteien sind kritische Haltungen gegenĂŒber der EU ein relevanteres Wahlmotiv als fĂŒr nicht-etablierte.
Abbildung 3
Ein Weniger an Anti-Establishment ohne positionelle MĂ€Ăigung
Je mehr sich populistische Parteien etablieren – so die Hoffnung einiger Beobachter – desto mehr Ă€hneln die Wahlmotive ihrer UnterstĂŒtzerInnen denen der Mainstream-Parteien. Solch ein Befund hĂ€tte zugleich einen beruhigenden Effekt mit Blick auf die Frage, in welchem MaĂe populistische Parteien ein Korrektiv oder eine Gefahr fĂŒr die reprĂ€sentativen Demokratien Europas darstellen: Etablierte populistische Parteien wĂŒrden dann ebenso aufgrund der von ihnen vertretenen Sachfragenpositionen unterstĂŒtzt wie die anderen Parteien.
Zwar nimmt einerseits die Bedeutung elitenkritischer Einstellungen mit der zunehmenden Etabliertheit von Populisten tatsĂ€chlich ab – dies ist vor dem Hintergrund auch plausibel, dass sie mit zunehmenden Wahlerfolgen selbst Teil des Establishments werden oder dieses sogar ersetzen. Im Hinblick auf die RadikalitĂ€t von Sachfragenmotiven fĂŒr die Wahlneigung kann ein mĂ€Ăigender Effekt allerdings nicht beobachtet werden. Sachfrageneinstellungen weisen nicht im selben MaĂe einen MĂ€Ăigungseffekt auf, wie es bei den Anti-Establishment Einstellungen zu beobachten ist. Eine Normalisierung der AnhĂ€ngerInnenschaften ist somit auch mit zunehmender Reife populistischer Parteien nicht zu beobachten.
Werner Krause ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Projekts MARPOR (Manifesto Research on Political Representation) am Wissenschaftszentrum fĂŒr Sozialforschung (WZB). In seiner Dissertation beschĂ€ftigt er sich mit dem Einfluss politischen Wettbewerbs auf den Wahlerfolg radikaler Parteien in Westeuropa. Seine Hauptforschungsinteressen liegen in der Wahl-, Einstellungs- und Parteienforschung sowie im Bereich der quantitativen Methoden.
Dr. Aiko Wagner arbeitet seit 2009 in der Abteilung Demokratie und Demokratisierung im Rahmen der âGerman Longitudinal Election Studyâ (GLES). Von 2019 bis 2020 vertritt er den Lehrbereich Vergleichende Politikwissenschaft an der UniversitĂ€t Potsdam. In Forschung und Lehre befasst er sich mit Themen der politischen Einstellungs- und Verhaltensforschung, der ReprĂ€sentation und des politischen Wettbewerbs.