Ein Vergleich verschiedener Protestdimensionen
von Gesine Höltmann
Rechtspopulistisches Wählen gilt weithin als Ausdruck von Protest. Unklar bleibt dabei jedoch gegen wen oder was sich dieser Protest richtet. Gastautorin Gesine Höltmann vergleicht in unserem neuen Blog-Beitrag drei mögliche Protestdimensionen unter AfD-WählerInnen: Unzufriedenheit mit der Leistung der Bundesregierung, mit etablierten Parteien insgesamt, oder mit dem gegenwärtigen demokratischen System. Die statistische Analyse anhand von Umfragedaten[1] des GLES– Projektes zeigt, dass alle drei Dimensionen stark mit der Wahl der AfD zusammen hängen. Weiter lässt sich feststellen, dass Protest als Mediator für Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik fungiert. Diese schlägt sich jedoch primär auf die Demokratiezufriedenheit von AfD-WählerInnen nieder, während die Unzufriedenheit mit etablierten Parteien hiervon weitestgehend unabhängig zu sein scheint.
Der Erfolg von Rechtspopulisten gilt in erster Linie als Protestphänomen: Protest gegen die Flüchtlingskrise, gegen die große Koalition, politische Eliten oder gar gegen das politische System. Diese Grundunzufriedenheit im rechtspopulistischen WählerInnensegment bleibt jedoch diffus und lässt sich vielseitig deuten. Um rechtspopulistischem Protest als vielschichtiges, komplexes Phänomen gerecht zu werden, gilt es, die Einstellungen und Beweggründe von AfD-WählerInnen näher unter die Lupe zu nehmen. Der gegenwärtige Beitrag widmet sich deshalb zunächst der Frage: Mit welcher Art von Protest haben wir es überhaupt zu tun? Darüber hinaus lässt sich der Wählerprotest im öffentlichen Narrativ kaum mehr von der Flüchtlingsthematik trennen; auch aus diesem Grund wird in einem zweiten Schritt untersucht inwiefern Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik eine treibende Rolle im Protestmechanismus spielt.
Rechtspopulistischer Protest: Eine Unterteilung in drei Dimensionen
In der rechtspopulistischen Ideologie spielt der Elitenprotest eine zentrale Rolle. Hinzu kommen in der prominenten Definition von Cas Mudde ein nativistisches Weltbild sowie ein anti-pluralistisches Demokratieverständnis. Somit bietet sich eine Unterscheidung zwischen System- und Elitenprotest an, die jeweils verschiedene Annahmen und Implikationen mit sich bringen.
Auch wenn Rechtspopulismus im Gegensatz zu Rechtsextremismus per Definition ein anti-pluralistisches (und kein per se anti-demokratisches) Politikverständnis vertritt, basiert die rechtspopulistische Kommunikation stark auf systemischem Protest, der sich bei Wählerinnen und Wählern beispielsweise in Form von Demokratieunzufriedenheit niederschlagen kann. Aus soziologischer Sicht gilt Demokratie(un-)zufriedenheit als eine eher stabile, langfristige politische Einstellung, die sich innerhalb von ein bis zwei Wahlperioden nicht drastisch verändert.
Anders steht es jedoch um die Zufriedenheit mit den politischen Eliten, die erwartbar stärker an die tagespolitische Resonanz gebunden sein sollte: Hier kann man einerseits die Regierung als primäres Subjekt politischer Verantwortung und somit als erste Zielscheibe der Kritik identifizieren – und andererseits die Gesamtheit der etablierten Parteien, die sich, anders als die AfD, zu einem gemeinsamen Wertekonsens bekennen, und manche grundlegenden politischen Entscheidungen, die die AfD nun kritisiert, gemeinsam getragen haben. Ein zentrales Beispiel hierfür ist das Offenhalten der Grenzen im Sommer 2015. Dass aus dem gesamten Parteienspektrum BürgerInnen zur AfD abgewandert sind, spricht außerdem dafür, dass eine gewisse Unzufriedenheit mit der Gesamtheit der Parteien besteht, die sich möglicherweise in Form eines grundlegenderen Anti-Parteiensentiments äußert.
Somit lassen sich drei mögliche Dimensionen des Wählerprotests ableiten: Gegen die Leistung der Bundesregierung im Besonderen, gegen etablierte Parteien insgesamt, oder, auf einer grundlegenderen Ebene, gegen die Demokratie in ihrer derzeitigen Form.
Protest im deutschen Wählerspektrum
Vergleicht man diese drei Dimensionen für die gesamte deutsche Wählerschaft (Abbildung 1) zeigt sich, dass politischer Protest am stärksten an den ideologischen Rändern, primär bei WählerInnen der AfD, aber auch – in deutlich geringerem Maße – am linken Ende des politischen Spektrums (bei Die Linke) verbreitet ist. Dagegen weisen WählerInnen von CDU/CSU, SPD, FDP und Grüne eine äußerst geringe Unzufriedenheit[2] mit Parteien und Demokratie auf – aus der gesellschaftlichen Mitte heraus wird Unzufriedenheit in erster Linie vis-a-vis der Bundesregierung geäußert.
Welche Protestdimension treibt die AfD Wahl?
Vergleicht man den Effekt der drei Protestdimensionen auf die AfD Wahl mittels logistischer Regression, zeigt sich sowohl für die Dimensionen im Einzelnen als auch im Gesamtmodell ein stark signifikanter Effekt. Abbildung 2 stellt für jede Dimension die Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl (Y-Achse) in Abhängigkeit von zunehmender Unzufriedenheit (X-Achse) dar. An erster Stelle steht dabei die Unzufriedenheit mit etablierten Parteien: Mit steigender Unzufriedenheit gegenüber den restlichen im Parlament vertretenen Parteien steigt die Wahrscheinlichkeit der AfD-Wahl exponentiell. An zweiter Stelle steht die Unzufriedenheit mit der großen Koalition, und erst an dritter Stelle, wenn auch immer noch hoch signifikant, die Demokratieunzufriedenheit.
Dass sich AfD-WählerInnen vom restlichen Wählerspektrum vor allem in Ihrer Ablehnung etablierter Parteien abgrenzen ist bemerkenswert: Die AfD scheint sich in den Augen ihrer WählerInnen nicht nur erfolgreich als Alternative zur aktuellen Regierungspolitik, sondern auch zunehmend als eine Alternative zu jeglicher Form von etablierter Politik positioniert zu haben. Zusätzliche Analysen zeigen, dass diese Ablehnung des Parteienspektrums ein Alleinstellungsmerkmal unter AfD-WählerInnen ist: Ein Vergleich mit Die Linke WählerInnen macht deutlich, dass Unzufriedenheit mit etablierten Parteien für linken Protest keine Rolle spielt. Während der Protest im linken Spektrum vor allem in Form von Unzufriedenheit mit der Leistung der Bundesregierung Ausdruck findet, bleibt der Effekt für Anti-Parteiensentiment leicht negativ und insignifikant.
AfD-Protest in Ost- versus Westdeutschland
Betrachtet man die Analyse für Ost- und Westdeutschland getrennt, wird deutlich, dass AfD WählerInnen im Osten in allen drei Dimensionen ein höheres Level an Unzufriedenheit an den Tag legen. Zwar bleibt die Unzufriedenheit mit etablierten Parteien für beide Gruppen die treibende Protestdimension; im Osten ist diese jedoch unmittelbar gefolgt von Demokratieunzufriedenheit, während im Westen nach wie vor die Unzufriedenheit mit der Arbeit der großen Koalition an zweiter Stelle steht. Dass Demokratieunzufriedenheit im Osten für die AfD-Wahl stärker ins Gewicht fällt als im Westen reflektiert die seit der Wiedervereinigung viel diskutierte Variation politischer Einstellungen in Ost- und Westdeutschland.
Inwiefern wird Protest durch Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik getrieben?
Im Vergleich der drei Protestdimensionen wird deutlich gegen welche politische Instanz sich der Protest von AfD-WählerInnen richtet. Welche Beweggründe oder Auslöser hinter diesem Ausdruck von Unzufriedenheit stehen, bleibt dabei jedoch offen: Hier sind mehrere Treiber vorstellbar, sowohl sozioökonomischer als auch soziokultureller Natur. Die Strategie der AfD beruht jedoch vor allem auf der Mobilisierung gegen geflüchtete Menschen, und auf der Forderung, Zuwanderung zu begrenzen; dies legt nahe, dass Wählerprotest sich ebenfalls aus Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik nährt. Dabei ist zu erwarten, dass insbesondere politikabhängige Protestdimensionen (in erster Linie also Unzufriedenheit mit der Regierung) von Anti-Migrationssentiment beeinflusst werden.
Mittels einer Mediationsanalyse, die testet inwiefern die Variation der verschiedenen Protestdimensionen durch eine vorangestellte Einstellung – in diesem Fall die Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik – erklärbar ist, lässt sich ein signifikanter Mediationseffekt für alle drei Protestdimensionen errechnen. Dabei zeigt sich, dass diese in erster Linie die Demokratieunzufriedenheit unter AfD-WählerInnen beeinflusst (22.1%), und erst an zweiter Stelle die Unzufriedenheit mit der großen Koalition (15.4%). Die Unzufriedenheit mit der Gesamtheit der etablierten Parteien hingegen lässt sich von der Flüchtlingsthematik nur in sehr geringem Maße erklären (6.7%).
Diese Ergebnisse lassen vermuten, dass es der AfD in ihrer Kritik an der Flüchtlingspolitik gelungen ist eine systemische Kritik zu verstärken: Insbesondere im Rahmen der so genannten ‚Herbstoffensive 2015‘ wurde das Offenhalten der Grenzen als ‚Demokratieverfall‘ und ‚Staatsversagen‘ dargestellt. Dass sich die Flüchtlingsthematik bei AfD-WählerInnen deshalb vor allem auf die Demokratiezufriedenheit ausgewirkt hat ist somit durchaus vorstellbar.
Abschließend lassen sich drei zentrale Beobachtungen festhalten.
- Protest in Form von Unzufriedenheit mit Regierung, Parteien, und Demokratie finden sich in erster Linie am rechten Ende des Wählerspektrums, und, deutlich schwächer, am linken Ende. In der Mitte des politischen Spektrums sticht vor allem die Unzufriedenheit mit der großen Koalition hervor.
- Von den drei Protestdimensionen ist das Anti-Parteiensentiment der stärkste Treiber der AfD Wahl. Diese Ablehnung etablierter Parteien scheint ein Alleinstellungsmerkmal des rechtspopulistischen Protestes zu sein.
- Protest gegen Regierung, Parteien und Demokratie wird zu einem gewissen Grad von Unzufriedenheit mit der Flüchtlingspolitik getrieben. Dabei sticht jedoch insbesondere die Wirkung auf Demokratiezufriedenheit hervor, und suggeriert, dass AfD WählerInnen die Flüchtlingsthematik vor allem als systemische Enttäuschung verarbeitet haben.
Die Frage nach der Art des Protestes ist auch eine Frage nach der Nachhaltigkeit und Ernsthaftigkeit dieses Protestes. Handelt es sich um handfeste Unzufriedenheit, die sich in der Hinterfragung des und in der Entfremdung vom repräsentativen politischen System äußert? Zwar zeigt sich, dass die AfD Wahl in erster Linie auf Elitenprotest beruht – Unzufriedenheit mit Regierung und Parteien sind die stärkeren Determinanten der AfD-Wahl – jedoch ist die Ablehnung etablierter Parteien ein weitaus ernsteres Protestphänomen als die bloße Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik. Auch dass sich Unzufriedenheit mit der Flüchtlingskrise bei AfD-WählerInnen vor allem auf die Demokratiezufriedenheit auswirkt, suggeriert eine eher dauerhafte Enttäuschung denn eine temporäre Protestbekundung. Die Vorstellung, dass sich der rechtspopulistische Wählerprotest durch einen einfachen Politikwechsel der etablierten Parteien abfangen lässt, scheint deshalb wenig plausibel.
Gesine Höltmann hat Public Policy an der Hertie School of Governance in Berlin und an der University of Toronto studiert. Ihre Forschungsinteressen liegen im Bereich der Parteien- und Wählerforschung sowie der normativen und rekonstruktiven Demokratietheorie. Dieser Beitrag ist auf Grundlage ihrer Masterarbeit zu Protestmotiven unter AfD-WählerInnen entstanden und basiert auf der German Longitudinal Election Study (GLES) zur Bundestagswahl 2017. Die Arbeit wurde im Rahmen der Berlin Summer School in Social Sciences 2019 am WZB vorgestellt und weiterentwickelt.
[1] Dieser Text basiert auf einer Datenanalyse der German Longitudinal Election Study (GLES) Vor- und Nachwahl Kumulation für die Bundestagswahl 2017; die Samplegröße beträgt n=2,577, davon 223 AfD WählerInnen (8,9% des analytischen Samples). Die vollständige Analyse kann hier eingesehen werden.
[2] Abbildung 1 stellt ausschließlich Unzufriedenheitswerte dar – dies bedeutet nicht zwingend, dass unter dem Rest der Wählerschaft nur hohe Zufriedenheitswerte vorhanden sind.
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