Demokratieförderung fördern – Demokratieförderung fordern

Von Bernhard Weßels

Wie steht es um die Notwendigkeit und Möglichkeit des Staates, Demokratieförderung zu betreiben? Angesichts der Debatten über die Fragilität der Demokratie und ihrer Gefährdung wird diese Frage wieder häufiger gestellt. Bisher kann der Bund nur zeitlich befristet und nur innovative Initiativen der Zivilgesellschaft fördern. Dr. Christoph Möllers nimmt sich in einem Rechtsgutachten der Frage nach den Möglichkeiten auf Demokratieförderung durch den Staat an und bringt mit dem Gesichtspunkt der Aufgabe der öffentlichen Fürsorge einen neuen verfassungsrechtlichen Blickwinkel in die Debatte ein. Bernhard Weßels (WZB) verweist in seinem Beitrag auf die Bedeutung der von Möllers aufgezeigten verfassungsrechtlichen Möglichkeit für die Demokratieförderung. Sie könnte eine Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Entlastung des Staates als Garanten der Demokratie bedeuten.

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Demokratie: ein fragiles öffentliches Gut

Nicht erst mit den rechtsextremistischen Anschlägen in Halle und Hanau ist es auch einer größeren Öffentlichkeit deutlich geworden, dass Demokratie kein Geschenk ist, das ohne Pflege weiter glänzen kann. Demokratie ist ein fragiles öffentliches Gut, schwer erkämpft und nur mit Engagement zu erhalten. Und Demokratie ist keine staatliche Veranstaltung, sondern eine gesellschaftliche, dazu erkämpft, politische Gleichheit und Gerechtigkeit, also Herrschaftskontrolle und Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Aber Demokratie lebt von Voraussetzungen, die erhalten oder geschaffen werden müssen. Hierzu gehört – darüber wird kaum nachgedacht ‑, das Erlernen von Schreiben, Lesen und Rechnen, also ein Ausbildungssystem, das es erlaubt, am umfassenden Informationsaustausch in der Gesellschaft teilzunehmen und es ebenfalls erlaubt, einen hinreichenden gesellschaftlichen Reichtum zu produzieren und damit Gesellschaft und politische Ordnung zu reproduzieren.

Und Demokratie braucht eine Zivilgesellschaft, die in die Lage ist, für die Gesellschaft und ihre Gliederungen Interessen zu bestimmen, zu artikulieren und in den demokratischen Prozess einzuspeisen. Damit ist das große Feld der Interessengruppen und Verbände, Initiativen und Bewegungen angesprochen. Für die Selbstorganisation braucht es Ressourcen. Das sind vor allem Menschen, die sich einbringen, ihre Zeit in Form des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements zur Verfügung stellen. Aber es bedarf auch organisatorischer Strukturen, Formen der Institutionalisierung, und des damit verbundenen Bedarfs an finanziellen Mitteln.

Zivilgesellschaft als Verteidigung der Demokratie

Das Zivilgesellschaft nicht immer nur die demokratiefreundlichen und Demokratie fördernden Aktivitäten hervorbringt, damit haben wir in Deutschland Erfahrungen gemacht, die sich nicht wiederholen dürfen. Demokratiefeindliche Entwicklungen der Selbstorganisation wie sie mit rechtsextremen und rassistischen Gruppierungen und deren Aktivitäten vorliegen, muss die Zivilgesellschaft selbst entgegentreten können. Gegenmobilisierung muss möglich sein und muss ermöglicht werden. Den Schutz der Demokratie ausschließlich in die Hände des Staates und seiner Ordnungskräfte legen zu können, wäre ein Irrglaube.

Demokratie lebt von der Anerkennung ihrer Regeln und diese durch alle. Welche Folgen es haben kann, wenn die Regeln einfach nicht mehr befolgt werden und dafür Sanktionen gegen die politisch Herrschenden ausbleiben, kann an der Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und der Einschränkung der Freiheit der Medien in Polen und Ungarn verfolgt werden. Demokratie ist also nicht nur Staatsordnung, sondern eine in allen gesellschaftlichen Bereichen zu verankernde Lebensform und Aufgabe.

Der Staat kann die Bedingungen für die demokratische Selbstorganisation fördern. Aber nach bisheriger Rechtslage ist dem Bund die dauerhafte Förderung gesellschaftlicher Initiativen untersagt. Finanzielle Mittel dürfen nur befristet und nur für innovative Projekte, was immer dafür die Definition dafür sein mag, zur Verfügung gestellt werden. Damit aber ist die Sicherung eines langfristigen Engagements für die Demokratie den meisten Initiativen verwehrt. Es reicht nicht, Freiwillige zu haben, die ihre Zeit opfern. Es braucht auch Organisation, Räume, Kommunikation und Herstellung von Öffentlichkeit jenseits von Demonstrationen. Es braucht also Projekte, die auch alle Geld kosten.

Die Verantwortung von Staat und Gesellschaft für die Demokratie

Daher ist die auch institutionelle Förderung der Demokratien in der Gesellschaft durch den Staat ein Beitrag, um die eigenen Handlungsbedingungen abzusichern. Leider ist diese Selbstverständlichkeit nicht so selbstverständlich, wie die Diskussion um ein Demokratieförderungsgesetz seit Jahren zeigt. Mit dem Gutachten von Prof. Dr. Christoph Möllers im Auftrag des Progressiven Zentrums werden die Argumente für eine verantwortliche Demokratieförderung einmal mehr gebündelt und fokussiert. Institutionelle Demokratieförderung ist schon deshalb ein Muss, weil sie sich aus der gesetzlichen Verantwortung für die „öffentliche Fürsorge“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 Grundgesetz) ergibt. Denn dort heißt es, der Staat müsse „auf eine hinreichend konkrete – teils potenzielle, teils realisierte – soziale Gefahrenlage, die von verfassungsfeindlichen Bestrebungen ausgeht oder aus der Struktur eines zivilgesellschaftlichen Engagements herrührt“ reagieren.

Die Schaffung der rechtlichen Möglichkeiten für die langfristige Förderung von die Demokratie fördernden Initiativen und Organisationen würde dazu beitragen, dass die Gesellschaft die demokratischen Selbstorganisation auf eine stärkere und verlässlichere Basis stellen könnte. Es würde die staatlichen Aktivitäten flankieren und dazu beitragen, dass der Staat nicht überlastet und handlungsunfähig wird. Damit würde also alles andere erreicht als eine Verstaatlichung der Zivilgesellschaft. Das Gutachten von Prof. Möllers bringt eine neue verfassungsrechtliche Perspektive in die Diskussion: die Erhaltung der Demokratie als Fürsorgepflicht des Staates. Wie Prof. Möllers in seinem Gutachten auf Seite 13 ausführt, hat das Bundesverfassungsgericht bereits 1967 in einem Urteil festgehalten, dass die öffentliche Fürsorge nicht nur gegeben ist, wenn eine konkrete Notlage oder Gefährdung existiert, sondern auch „Veranstaltungen zur politischen Bildung, die der Jugend im Besonderen klarmachen sollen, dass der Einzelne sich in der Demokratie nicht von der Gesellschaft absondern kann, sondern sie und ihre politische Form aktiv mitgestalten muss (BVerfG, Urteil vom 18.07.1967, 2 BvF 3/62 u.a., Rn. 107, juris – Jugendhilfe)“ umfasst. Dem muss nichts hinzugefügt werden.


© David Ausserhofer

Prof. Dr. Bernhard Weßels ist kommissarischer Direktor der Abteilung “Demokratie und Demokratisierung” am WZB und Professor für Politikwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Seine Forschungsgebiete umfassen die Analyse von Wahlverhalten, politischen Einstellungen, Interessenvermittlung und politische Repräsentation im internationalen Vergleich.

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