Interaktives Tool hilft bei der Wahlentscheidung
Welchen Raum nehmen deine politischen Ziele in den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zur Bundestagswahl 2021 ein? Juliane Hanel, Marvin Müller und Leonie Schwichtenberg (studentische Hilfskräfte im Manifesto-Projekt am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB)) haben ein interaktives Online-Tool entwickelt, mit dem sich genau diese Frage individuell nach persönlichem Interesse beantworten lässt. Im Interview mit ihrer Kollegin Leila van Rinsum geben die Entwickler:innen Auskunft über die Hintergründe des Manifesto-Checks. Das Tool reiht sich ein in die Manifesto Monday Serie, in welcher jeden Montag ein Wahlprogramm genauer unter die Lupe genommen wurde.
HIER GEHT ES DIREKT WEITER ZUM WAHL-CHECK

Dieser Beitrag ist Teil einer Serie zu den Wahlprogrammen der deutschen Parteien zur Bundestagswahl am 26. September 2021. Ab dem 2. August erscheint immer montags (dem sogenannten Manifesto Monday) ein Beitrag zu jeweils einem Wahlprogramm. Als Staffelfinale ist für Mitte September ein längerer Beitrag geplant, der alle Wahlprogramme vergleicht und in Kontext setzt. Die Daten dazu erheben wir im Rahmen des Manifesto-Projekts aus der Abteilung Demokratie & Demokratisierung am WZB. Detailliertere Information zu Projekt und Methodik lassen sich sowohl auf unserer Webseite als auch in einem Überblicksblogartikel auffinden. Im Rahmen der Kodierung des Manifesto-Projekts bewerten wir für jede Aussage in den Wahlprogrammen, welches politische Ziel eine Partei verfolgt. Insgesamt unterscheiden wir dabei 76 unterschiedliche politische Ziele, von Umweltschutz und Wohlfahrtsstaatsausbau über freie Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechte. Der heutige Beitrag stellt das Wahlprogramm der Union vor.
Könnt ihr zu Beginn kurz beschreiben, was hinter eurer studentischen Initiative, dem Manifesto-Check steckt?
Leonie: Parteien machen eine Vielzahl von Wahlversprechen, die durch das bloße Lesen von Wahlprogrammen nur sehr schwer vollständig zu erfassen sind. Viele Wähler:innen fragen sich: Wie häufig betonen die Parteien eigentlich meine politischen Ziele? Und wie viel Platz nehmen diese persönlichen Ziele in den Wahlprogrammen ein? Genau diese Fragen versuchen wir mit unserem interaktiven Manifesto-Check individuell zu beantworten.
Marvin: Konkret bedeutet das, dass in unserem Tool jede:r persönlich wichtige Ziele auswählen kann, und dann grafisch angezeigt bekommt, wie häufig diese Ziele von den Parteien in ihren Wahlprogrammen erwähnt werden.
Das klingt sehr aufwendig! Woher habt ihr denn die zugrunde liegenden Daten bekommen?
Juliane: Für den Manifesto-Check haben wir mit dem Datensatz des Manifesto-Projekts, das am WZB angesiedelt ist, gearbeitet. In diesem Datensatz werden der Öffentlichkeit Wahlprogramme aus über 50 Ländern und von mehr als 1000 Parteien zur freien Verfügung gestellt. Das Besondere daran ist, dass die Wahlprogramme „codiert“ veröffentlicht werden. Das bedeutet, dass jedes Statement in einem Wahlprogramm einer von insgesamt 76 Kategorien zugewiesen wird. So wird der Inhalt der Programme greifbar gemacht. Es wird zum Beispiel ermöglicht, Parteien aus unterschiedlichen Ländern zu vergleichen, oder die Entwicklung einer Partei über die Jahre zu analysieren.
Marvin: Wir haben für das Projekt mit den codierten Wahlprogrammen zur Bundestagswahl 2021 gearbeitet. Dabei haben wir allerdings nicht alle der 76 Codes verwendet, sondern eine kleine Vorauswahl getroffen und uns für 32 Ziele entschieden aus denen Nutzer:innen in unserem Tool auswählen können.
Wieso habt ihr euch für eine Auswahl entschieden?
Leonie: Unser Anliegen ist, dass auch Menschen, die sich nicht so viel mit Politik und Parteien beschäftigen, etwas mit den Zielen anfangen können. Unter den Codes sind auch welche, die in der heutigen politischen Debatte nicht mehr so präsent sind, wie zum Beispiel ‚Keynesianismus‘. Das liegt daran, dass die Kategorien vor vierzig Jahren entwickelt wurden und sich politische Debatten mit der Zeit verändert haben. Der Check soll Themen widerspiegeln, die heute von Menschen als relevant wahrgenommen werden.
Juliane: Außerdem haben wir die Ziele teilweise umbenannt, so dass allgemein verständlich ist was dahinter steckt. So wurde zum Beispiel aus dem englischen „Economic Orthodoxy“ das deutsche „Zurück zur schwarzen Null“ und „Protektionismus“ wurde als „Heimische Wirtschaft schützen“ umschrieben. Für den Fall, dass eine Kategorie für eine:n Nutzer:in des Manifesto-Checks noch nicht ganz klar ist, haben wir für jedes Ziel eine kurze Erklärung verfasst.
Wie kamt ihr zu der Idee vom Manifesto-Check?
Marvin: Wir haben bei einem Gespräch in einer Kaffeepause festgestellt, dass wir alle einen Podcast mit der Wissenschaftsjournalistin Mai Thi Nguyen-Kim gehört haben, in dem sie über die Bedeutung von guter Wissenschaftskommunikation gesprochen hat. Dabei kam uns die Idee, dass auch die Forschung in unserem Projekt, wenn wir sie richtig aufbereiten, für einen größeren Teil der Bevölkerung relevant und interessant sein könnte.
Juliane: Ich fand Tools wie zum Beispiel den Wahl-O-Mat schon immer super cool und hilfreich für meine persönliche Meinungsbildung. Speziell beim Wahl-O-Mat sehe ich aber das Problem, dass die Parteien Antworten auf vorgefertigte Fragen geben, die eventuell auch auf die Nutzer:innen des Tools angepasst sind. Deshalb fand ich die Idee gut, mal mit den „harten Fakten“ zu arbeiten und die Wahlprogramme und sozusagen „echten Meinungen“ der Partei aufzubereiten und Menschen zugänglicher zu machen.
Was waren die größten Schwierigkeiten in der Umsetzung? Gab es Überraschungen?
Leonie: Eigentlich werden die Wahlprogramme immer erst nach der Wahl codiert. Bei der Bundestagswahl ist das ein bisschen anders, da versuchen wir als Manifesto-Projekt vorher fertig zu werden. Die Parteien veröffentlichen ihre Programme aber erst wenige Wochen vor der Wahl, das bedeutet: Stress! Wir mussten also so schnell wie möglich die Programme codieren lassen, überprüfen und zeitgleich an dem Manifesto-Check arbeiten. Außerdem haben wir zusammen mit unseren Kolleg:innen die einzelnen Wahlprogramme in unseren vorherigen Blogartikeln der Reihe „Manifesto Monday“ auch noch zusätzlich im Detail analysiert — das hat viel Spaß gemacht, aber auch jede Menge Zeit in Anspruch genommen.
Könnt ihr zum Abschluss noch ein bisschen über Euch erzählen? Was macht ihr am WZB?
Juliane: Unsere Hauptaufgaben als studentische Hilfskräfte im Manifesto-Projekt liegen im Prozess der Datenerhebung, d.h. der Codierung der Wahlprogramme: Wenn eine Wahl ansteht, versuchen wir alle relevanten Wahlprogramme zu finden. Das ist in anderen Sprachen manchmal gar nicht so einfach. Außerdem machen wir die Wahlprogramme maschinenlesbar, das heißt konkret, dass wir aus PDF-Dokumenten Word-Dateien erstellen, die dann direkt codiert werden können. Für die Vergelichbarkeit ist es wichtig, dass die Dokumente immer das gleiche Format haben. Außerdem sind wir am Checking der Codierung beteiligt, auf dessen Basis die Coder:innen Feedback erhalten und sichergestellt wird, dass unser Codierschema richtig angewandt wird. Dabei arbeiten wir immer eng mit den Fellows des Projekts zusammen, sei es beim Überprüfen der Codes, beim Programmieren von Tools oder bei besonderen Aufgaben wie der Manifesto Monday-Blogreihe.
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Die Entwickler:innen
Juliane Hanel ist seit 2019 studentische Hilfskraft im Manifesto-Projekt in der Abteilung Demokratie & Demokratisierung am WZB. Sie studiert den Masterstudiengang Cognitive Systems: Language, Learning and Reasoning an der Universität Potsdam.
Marvin Müller war bis August 2021 studentische Hilfskraft im Manifesto-Projekt. am WZB. Er startet nun als Carlo-Schmid-Fellow am Institut für Bildungsplanung der UNESCO in Paris und studiert den Masterstudiengang Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin.
Leonie Schwichtenberg ist studentische Hilfskraft im Manifesto-Projekt in der Abteilung Demokratie & Demokratisierung am WZB und studiert den Masterstudiengang Sociology: European Societies an der Freien Universität Berlin.