Mehr substanzielle, weniger symbolische Politik tut Not. GesprĂ€ch der Neuen Gesellschaft / Frankfurter Hefte (NG/FH) mit Wolfgang Merkel. Das Interview erschien jĂŒngst in englischer Ăbersetzung online in Social Europe. An English Translation of the following interview was just published as Democracyâs Problem Is Not The Crisis But The Triumph Of Capitalism, on Social Europe.
NG/FH: Die in gewisser Weise stĂ€ndig gestellte Diagnose einer »Krise der Demokratie« hat sich in den letzten Jahren dermaĂen verschĂ€rft, dass mittlerweile sogar gefragt wird, ob wir ĂŒberhaupt noch »echte« Demokratie in den KernlĂ€ndern der OECD haben? Das gipfelt in dem Befund, unsere LĂ€nder seien in Hinblick auf die Kernfragen ökonomischer Macht im Prinzip reformunfĂ€hig und kĂŒnftig nur noch ein Spielball der wirtschaftlichen Macht. Was wĂ€re ein gĂŒltiger MaĂstab, um die Krise der Demokratie und ihre QualitĂ€t zu beurteilen, und was ist die Antwort in Bezug auf die gegenwĂ€rtige Lage?
Wolfgang Merkel: So einfach sind die Diagnosen nicht. Kaum eine von ihnen vermag zu erklĂ€ren, was ihr ReferenzmaĂstab ist. Ist es die normativ vermutete »echte« Demokratie? Ist es ein versunkenes goldenes Zeitalter der Demokratie? Beides wĂ€re falsch. »Eine« echte Demokratie gibt es nicht. WĂ€re es die direkte oder die reprĂ€sentative Demokratie? WĂŒnschen wir mehr Konsens und Inklusion oder vertrauen wir der Effizienz der Mehrheitsregel? Bevorzugen wir zentralistische oder föderale Demokratien? Wollen wir mehr Schweiz mit ihrer Konsensregel oder doch das »Westminster-Modell« mit seinem rabiaten Mehrheitsprinzip? Die Annahme, dass es ein besseres Zeitalter der Demokratie gegeben hat, ist geschichtsvergessen. Wann sollte das gewesen sein? In den 60er und frĂŒhen 70er Jahren? Fragen wir doch die Frauen, die ethnischen Minderheiten, Homosexuelle in den USA, der Schweiz, Deutschland oder anderswo, ob sie das auch so sehen. Die Demokratien heute haben erhebliche Probleme, aber sie sind aufs Ganze gesehen keineswegs schlechter als in irgendeiner Vergangenheit.
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