Die gezielte Repressionskampagne gegen Regimekritische Stimmen in Ägypten hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Sicherheitsapparat in Kairo nimmt zunehmend auch kritische Wissenschaftler ins Visier.
Wissenschaftsfreiheit in Ägypten
In 2004, unter dem damaligen Langzeitpräsidenten Hosni Mubarak, machte erstmals eine Gruppe von Professoren und Universitätsangestellten in Ägypten auf sich aufmerksam, welche sich für Wissenschaftsfreiheit und die Unabhängigkeit der Universitäten in Lehre und Forschung einsetzte. Die Gruppe des 9. März erinnert durch ihren Namen an den Rücktritt Lotfi Al-Sayeds, seines Zeichens erster Präsident der damals noch jungen Kairoer Universität, am neunten März 1932 aus Protest gegen die politisch motivierte Absetzung des Dekan der Fakultät der Künste durch das Bildungsministerium. Die Gruppe setzte sich auf verschiedensten Wegen in den folgenden Jahren für die Unabhängigkeit der Ägyptischen Universitäten und gegen politische Einflussnahme auf Forschung und Lehre ein. Es wurden Kongresse zur Wissenschaftsfreiheit und gemeinsame Proteste von Fakultätsmitgliedern auf Campi in Kairo und anderswo abgehalten um für die Unabhängigkeit der Universitäten einzutreten und auf politische Einmischung in Universitäre Angelegenheiten Aufmerksam zu machen bzw. dagegen mobil zu machen.
Heutzutage scheint dies wie eine Geschichte aus einem Land aus längst vergangener Zeit: Vor Tahrir. Vor der Revolution. Vor dem Coup, der Ägyptens aktuellen Machthaber Al Sisi an die Spitze des Landes beförderte. In der Tat scheint der heutige Kontext den Gegebenheiten in 1929 deutlich näher als denen vor 10 Jahren. Das gilt auch und besonders im Hinblick auf die akademische Freiheit und Unabhängigkeit der Universitäten im Land am Nil.
Der Fall Giuilio Regeni
Im Februar diesen Jahres tauchte der Körper des bis dato seit zwei Wochen vermissten Giulio Regeni an der Wüstenstrasse von Kairo nach Alexandria auf. Der Autopsiebericht wurde erst deutlich später nach diplomatischem Druck veröffentlicht, mit dem Ergebnis: Der italienische Promotionsstudent, der seine Doktorarbeit an der Universität Cambridge im Vereinten Königreich zu unabhängigen Gewerkschaften in Ägypten durchführte, wurde professionell über neun Tage hinweg gefoltert. Aufgrund der Indizienlage insbesondere im Hinblick auf die angewandten Foltertechniken als auch die Umstände seines Verschwindens am fünften Jahrestag der Revolution im damaligen Hochsicherheitsbereich in Downtown Kairo vermuten viele eine Beteiligung der Sicherheitsbehörden. Investigative Berichterstattung von Reuters und der New York Times zitieren anonyme Aussagen aus den ägyptischen Sicherheitsbehörden welche die Ergreifung Giulios durch Ihre Kollegen bestätigen. Offiziell heißt es aus Kairo jedoch weiterhin, eine Verwicklung ägyptischer Sicherheitskräfte in den Fall sei nichts als eine Verschwörung von bösen Kräften gegen Ägypten, welche das gute Verhältnis zwischen Kairo und Rom zerrütten wollten, um das Land zu destabilisieren. Im Zuge der unzufrieden stellenden Kooperation durch die zuständigen ägyptischen Ermittlungsbehörden und aufgrund einer erfolgreichen Kampagne der Familie des italienischen Nachwuchsforschers sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Rom und Kairo in den letzten Monaten merklich abgekühlt.
Forscher im Fadenkreuz
Seit der Absetzung des Muslimbruders Mohammed Mursi durch das Militär in 2013 hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten enorm verschlechtert. Nach der gezielten Verfolgung und Massenprozessen der Militärjustiz gegen Mitglieder und Unterstützer der Muslimbrüder sind inzwischen auch andere Gruppen vermehrt ins Visier der ägyptischen Sicherheitsapparate und Justiz geraten. Das harte Durchgreifen gegen kritische Stimmen scheint nicht mehr nur auf Zivilgesellschaftliche und politische Akteure beschränkt. Kürzlich protestierten im April Medienschaffende gegen die Verhaftungen von Journalisten und das Eindringen von Sicherheitskräften in das Gebäudes des Journalistenverbands. Die Sicherheitsorgane gehen seit einigen Monaten gezielt gegen unbequeme Journalisten, Fotografen und auch Wissenschaftler vor.
Der Nordamerikanische Verband für Nahoststudien (MESA) reagierte im Februar auf die zunehmend prekäre Sicherheitslage für Wissenschaftler in Ägypten mit einer Sicherheitswarnung für seine Mitglieder. Das zuständige Komitee für Wissenschaftsfreiheit habe in zunehmender Anzahl und Umfang schwere Verstöße gegen Wissenschaftler registriert. Die Vorwürfe reichen von der Verweigerung der Ein- und Ausreise über direkte Einmischung in Universitätsverwaltung durch die Exmatrikulation von Studierenden und den Rauswurf kritischer Fakultätsmitglieder bis hin zu unfairen Massenprozessen in Einzelfällen mit dem Resultat der Todesstrafe für Studierende und Wissenschaftler.
In einem kürzlich erschienenen Bericht der Ägyptischen Organisation für Gedanken- und Meinungsfreiheit (AFTE) zur Lage von ausländischen Wissenschaftlern in Ägypten wurden restriktive Visavergabe-Praktiken für Forschungsvisa und der erschwerte Zugang zu Archiven angeprangert. Die zentrale Rolle der Sicherheitsbehörden bei der Visavergabe für Wissenschaftler hat dazu geführt, dass die meisten ausländischen Wissenschaftler in Ägypten mit einem Touristenvisum einreisen. Dies sorgt im Umkehrschluss dafür, dass die jeweiligen Botschaften sich auch bei Problemen mit den Ägyptischen Sicherheitsbehörden oftmals nur im geringen Maße für jeweiligen Wissenschaftler einsetzten (können). Der Fall der Französischen Nachwuchsforscherin Fanny Ohier, die im Mai 2015 aus Ägypten deportiert wurde, ohne dass die französische Botschaft in Kairo daraus jegliche sichtbare politische Konsequenzen zog, veranschaulicht diese Entwicklung sehr deutlich.
Prominente ägyptische Sozialwissenschaftler wie Amr Hamzawy oder Emad Shahin sahen sich aufgrund verhängter Berufsverbote und gegen Sie laufender Verfahren gezwungen ihr Heimatland zu Verlassen. Seit der Machtübernahme des Militärs im Juli 2013 hat der Academic Freedom Monitor, eine Initiative des Scholars at Risk Netzwerkes, allein 26 Fälle von Verletzung der Wissenschaftsfreiheit in Ägypten protokolliert. Man kann jedoch aufgrund der mangelnden systematischen Erhebung dieser Verletzungen von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgehen. Insbesondere wenn Zwischenfälle gegen Studierende mit herangezogen werden.
Die vorherrschende Einschätzung in den ägyptischen Sicherheitsbehörden scheint, dass ägyptische und ausländische Wissenschaftler ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen. Diese Einstellung hat sich durch den seit 2013 vermehrt nationalistischen, verschwörungslastigen und xenophoben Diskurs von Seiten staatlicher Akteure und ihrer medialen Lautsprecher noch verstärkt und dadurch auch zu einer Verschlechterung der Situation für Wissenschaftler in Ägypten geführt.
Repression ohne Konsequenzen
Der Fall des Cambridge-Doktoranden Giulio Regenis hat das Thema Wissenschaftsfreiheit in Ägypten medial auch international auf die Agenda gehievt. Wie Entwicklungshelfer, Menschenrechtsaktivisten oder Journalisten, so bewegen sich auch Wissenschaftler im Zuge ihrer Feldforschung oftmals auf gefährlichem Terrain. Im Gegensatz zu den anderen Berufsgruppen erhalten Wissenschaftler jedoch in der Regel kein feldspezifisches Sicherheitstraining. Wissenschaftler in gefährlichem Umfeld sind in der Regel auf sich allein gestellt. Professionelle oder gar institutionelle Unterstützung zur Gefahreneinschätzung wie in der Entwicklungszusammenarbeit oder bei Journalisten üblich ist gibt es nicht. Eine systematische Erfassung von Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit wie z.B. durch Reporter ohne Grenzen gibt es ebenso wenig wie Angebote oder Finanzierung von notwendigen Sicherheits- und Gefahrentrainings für Wissenschaftler. Hier stehen nicht zuletzt auch Universitäten und akademische Institutionen in der Pflicht. Die Debatte um den Fall Giulio Regeni hat richtigerweise auf die Vielzahl an verschwundenen Personen und die weiterhin weit verbreiteten Folterpraktiken in Ägypten unter Al Sisi hingewiesen. Allerdings sollten auch das systematische Vorgehen gegen Wissenschaftler in Ägypten bei der Diskussion des tragischen Falles des italienischen Kollegen nicht vernachlässigt werden.
Im Kontext der allgemeinen Verschlechterung der Menschenrechtslage in Ägypten unter Präsident Al-Sisi geraten immer neue Gruppen ins Visier der straflos agierenden ägyptischen Sicherheitsbehörden. Im Zusammenhang mit der katastrophalen Menschenrechtsbilanz der aktuellen Administration in Kairo hatte das EU Parlament im März unter direktem Verweis auf das Schicksal Regenis eine scharfe Resolution verabschiedet, welche zum wiederholten Male zu einem Exportstopp von Militärgütern und einem Ende der Sicherheitskooperation mit dem Sisi-Regime aufrief. Kurz darauf wurde bei Besuchen vom französischem Staatschef Hollande und Vizekanzler Gabriel in Kairo jeweils ein Ausbau der Sicherheitskooperation insbesondere in den Bereichen Grenzschutz und Terrorbekämpfung sowie umfangreiche Rüstungslieferungen besiegelt. Es scheint, als ob das wohl düsterste Kapitel der jüngeren Geschichte des altehrwürdigen Staates am Nil ohne Komplikationen weiter geschrieben werden kann, während Wissenschaftler es schwer haben werden, ihre Seiten mit Quellen und Zitaten aus Ägypten zu füllen.