Der Untergang der Akademischen Freiheit am Nil

Die gezielte Repressionskampagne gegen Regimekritische Stimmen in Ägypten hat einen neuen Höhepunkt erreicht. Der Sicherheitsapparat in Kairo nimmt zunehmend auch kritische Wissenschaftler ins Visier.

Die Kairoer UniversitĂ€t ist seit 2013 schwer be- und ĂŒberwacht durch Ă€gyptische SicherheitskrĂ€fte.

Die Kairoer UniversitĂ€t ist seit 2013 schwer be- und ĂŒberwacht durch Ă€gyptische SicherheitskrĂ€fte.

Wissenschaftsfreiheit in Ägypten

In 2004, unter dem damaligen LangzeitprĂ€sidenten Hosni Mubarak, machte erstmals eine Gruppe von Professoren und UniversitĂ€tsangestellten in Ägypten auf sich aufmerksam, welche sich fĂŒr Wissenschaftsfreiheit und die UnabhĂ€ngigkeit der UniversitĂ€ten in Lehre und Forschung einsetzte. Die Gruppe des 9. MĂ€rz erinnert durch ihren Namen an den RĂŒcktritt Lotfi Al-Sayeds, seines Zeichens erster PrĂ€sident der damals noch jungen Kairoer UniversitĂ€t, am neunten MĂ€rz 1932 aus Protest gegen die politisch motivierte Absetzung des Dekan der FakultĂ€t der KĂŒnste durch das Bildungsministerium. Die Gruppe setzte sich auf verschiedensten Wegen in den folgenden Jahren fĂŒr die UnabhĂ€ngigkeit der Ägyptischen UniversitĂ€ten und gegen politische Einflussnahme auf Forschung und Lehre ein. Es wurden Kongresse zur Wissenschaftsfreiheit und gemeinsame Proteste von FakultĂ€tsmitgliedern auf Campi in Kairo und anderswo abgehalten um fĂŒr die UnabhĂ€ngigkeit der UniversitĂ€ten einzutreten und auf politische Einmischung in UniversitĂ€re Angelegenheiten Aufmerksam zu machen bzw. dagegen mobil zu machen.

Heutzutage scheint dies wie eine Geschichte aus einem Land aus lĂ€ngst vergangener Zeit: Vor Tahrir. Vor der Revolution. Vor dem Coup, der Ägyptens aktuellen Machthaber Al Sisi an die Spitze des Landes beförderte. In der Tat scheint der heutige Kontext den Gegebenheiten in 1929 deutlich nĂ€her als denen vor 10 Jahren. Das gilt auch und besonders im Hinblick auf die akademische Freiheit und UnabhĂ€ngigkeit der UniversitĂ€ten im Land am Nil.

Der Fall Giuilio Regeni

Im Februar diesen Jahres tauchte der Körper des bis dato seit zwei Wochen vermissten Giulio Regeni an der WĂŒstenstrasse von Kairo nach Alexandria auf. Der Autopsiebericht wurde erst deutlich spĂ€ter nach diplomatischem Druck veröffentlicht, mit dem Ergebnis: Der italienische Promotionsstudent, der seine Doktorarbeit an der UniversitĂ€t Cambridge im Vereinten Königreich zu unabhĂ€ngigen Gewerkschaften in Ägypten durchfĂŒhrte, wurde professionell ĂŒber neun Tage hinweg gefoltert. Aufgrund der Indizienlage insbesondere im Hinblick auf die angewandten Foltertechniken als auch die UmstĂ€nde seines Verschwindens am fĂŒnften Jahrestag der Revolution im damaligen Hochsicherheitsbereich in Downtown Kairo vermuten viele eine Beteiligung der Sicherheitsbehörden. Investigative Berichterstattung von Reuters und der New York Times zitieren anonyme Aussagen aus den Ă€gyptischen Sicherheitsbehörden welche die Ergreifung Giulios durch Ihre Kollegen bestĂ€tigen. Offiziell heißt es aus Kairo jedoch weiterhin, eine Verwicklung Ă€gyptischer SicherheitskrĂ€fte in den Fall sei nichts als eine Verschwörung von bösen KrĂ€ften gegen Ägypten, welche das gute VerhĂ€ltnis zwischen Kairo und Rom zerrĂŒtten wollten, um das Land zu destabilisieren. Im Zuge der unzufrieden stellenden Kooperation durch die zustĂ€ndigen Ă€gyptischen Ermittlungsbehörden und aufgrund einer erfolgreichen Kampagne der Familie des italienischen Nachwuchsforschers sind die diplomatischen Beziehungen zwischen Rom und Kairo in den letzten Monaten merklich abgekĂŒhlt.

Forscher im Fadenkreuz

Seit der Absetzung des Muslimbruders Mohammed Mursi durch das MilitĂ€r in 2013 hat sich die Menschenrechtslage in Ägypten enorm verschlechtert. Nach der gezielten Verfolgung und Massenprozessen der MilitĂ€rjustiz gegen Mitglieder und UnterstĂŒtzer der MuslimbrĂŒder sind inzwischen auch andere Gruppen vermehrt ins Visier der Ă€gyptischen Sicherheitsapparate und Justiz geraten. Das harte Durchgreifen gegen kritische Stimmen scheint nicht mehr nur auf Zivilgesellschaftliche und politische Akteure beschrĂ€nkt. KĂŒrzlich protestierten im April Medienschaffende gegen die Verhaftungen von Journalisten und das Eindringen von SicherheitskrĂ€ften in das GebĂ€udes des Journalistenverbands. Die Sicherheitsorgane gehen seit einigen Monaten gezielt gegen unbequeme Journalisten, Fotografen und auch Wissenschaftler vor.

Der Nordamerikanische Verband fĂŒr Nahoststudien (MESA) reagierte im Februar auf die zunehmend prekĂ€re Sicherheitslage fĂŒr Wissenschaftler in Ägypten mit einer Sicherheitswarnung fĂŒr seine Mitglieder. Das zustĂ€ndige Komitee fĂŒr Wissenschaftsfreiheit habe in zunehmender Anzahl und Umfang schwere VerstĂ¶ĂŸe gegen Wissenschaftler registriert. Die VorwĂŒrfe reichen von der Verweigerung der Ein- und Ausreise ĂŒber direkte Einmischung in UniversitĂ€tsverwaltung durch die Exmatrikulation von Studierenden und den Rauswurf kritischer FakultĂ€tsmitglieder bis hin zu unfairen Massenprozessen in EinzelfĂ€llen mit dem Resultat der Todesstrafe fĂŒr Studierende und Wissenschaftler.

In einem kĂŒrzlich erschienenen Bericht der Ägyptischen Organisation fĂŒr Gedanken- und Meinungsfreiheit (AFTE) zur Lage von auslĂ€ndischen Wissenschaftlern in Ägypten wurden restriktive Visavergabe-Praktiken fĂŒr Forschungsvisa und der erschwerte Zugang zu Archiven angeprangert. Die zentrale Rolle der Sicherheitsbehörden bei der Visavergabe fĂŒr Wissenschaftler hat dazu gefĂŒhrt, dass die meisten auslĂ€ndischen Wissenschaftler in Ägypten mit einem Touristenvisum einreisen. Dies sorgt im Umkehrschluss dafĂŒr, dass die jeweiligen Botschaften sich auch bei Problemen mit den Ägyptischen Sicherheitsbehörden oftmals nur im geringen Maße fĂŒr jeweiligen Wissenschaftler einsetzten (können). Der Fall der Französischen Nachwuchsforscherin Fanny Ohier, die im Mai 2015 aus Ägypten deportiert wurde, ohne dass die französische Botschaft in Kairo daraus jegliche sichtbare politische Konsequenzen zog, veranschaulicht diese Entwicklung sehr deutlich.

Prominente Ă€gyptische Sozialwissenschaftler wie Amr Hamzawy oder Emad Shahin sahen sich aufgrund verhĂ€ngter Berufsverbote und gegen Sie laufender Verfahren gezwungen ihr Heimatland zu Verlassen. Seit der MachtĂŒbernahme des MilitĂ€rs im Juli 2013 hat der Academic Freedom Monitor, eine Initiative des Scholars at Risk Netzwerkes, allein 26 FĂ€lle von Verletzung der Wissenschaftsfreiheit in Ägypten protokolliert. Man kann jedoch aufgrund der mangelnden systematischen Erhebung dieser Verletzungen von einer deutlich höheren Dunkelziffer ausgehen. Insbesondere wenn ZwischenfĂ€lle gegen Studierende mit herangezogen werden.

Die vorherrschende EinschĂ€tzung in den Ă€gyptischen Sicherheitsbehörden scheint, dass Ă€gyptische und auslĂ€ndische Wissenschaftler ein potenzielles Sicherheitsrisiko darstellen. Diese Einstellung hat sich durch den seit 2013 vermehrt nationalistischen, verschwörungslastigen und xenophoben Diskurs von Seiten staatlicher Akteure und ihrer medialen Lautsprecher noch verstĂ€rkt und dadurch auch zu einer Verschlechterung der Situation fĂŒr Wissenschaftler in Ägypten gefĂŒhrt.

Repression ohne Konsequenzen

Der Fall des Cambridge-Doktoranden Giulio Regenis hat das Thema Wissenschaftsfreiheit in Ägypten medial auch international auf die Agenda gehievt. Wie Entwicklungshelfer, Menschenrechtsaktivisten oder Journalisten, so bewegen sich auch Wissenschaftler im Zuge ihrer Feldforschung oftmals auf gefĂ€hrlichem Terrain. Im Gegensatz zu den anderen Berufsgruppen erhalten Wissenschaftler jedoch in der Regel kein feldspezifisches Sicherheitstraining. Wissenschaftler in gefĂ€hrlichem Umfeld sind in der Regel auf sich allein gestellt. Professionelle oder gar institutionelle UnterstĂŒtzung zur GefahreneinschĂ€tzung wie in der Entwicklungszusammenarbeit oder bei Journalisten ĂŒblich ist gibt es nicht. Eine systematische Erfassung von Verletzungen der Wissenschaftsfreiheit wie z.B. durch Reporter ohne Grenzen gibt es ebenso wenig wie Angebote oder Finanzierung von notwendigen Sicherheits- und Gefahrentrainings fĂŒr Wissenschaftler. Hier stehen nicht zuletzt auch UniversitĂ€ten und akademische Institutionen in der Pflicht. Die Debatte um den Fall Giulio Regeni hat richtigerweise auf die Vielzahl an verschwundenen Personen und die weiterhin weit verbreiteten Folterpraktiken in Ägypten unter Al Sisi hingewiesen. Allerdings sollten auch das systematische Vorgehen gegen Wissenschaftler in Ägypten bei der Diskussion des tragischen Falles des italienischen Kollegen nicht vernachlĂ€ssigt werden.

Im Kontext der allgemeinen Verschlechterung der Menschenrechtslage in Ägypten unter PrĂ€sident Al-Sisi geraten immer neue Gruppen ins Visier der straflos agierenden Ă€gyptischen Sicherheitsbehörden. Im Zusammenhang mit der katastrophalen Menschenrechtsbilanz der aktuellen Administration in Kairo hatte das EU Parlament im MĂ€rz unter direktem Verweis auf das Schicksal Regenis eine scharfe Resolution verabschiedet, welche zum wiederholten Male zu einem Exportstopp von MilitĂ€rgĂŒtern und einem Ende der Sicherheitskooperation mit dem Sisi-Regime aufrief. Kurz darauf wurde bei Besuchen vom französischem Staatschef Hollande und Vizekanzler Gabriel in Kairo jeweils ein Ausbau der Sicherheitskooperation insbesondere in den Bereichen Grenzschutz und TerrorbekĂ€mpfung sowie umfangreiche RĂŒstungslieferungen besiegelt. Es scheint, als ob das wohl dĂŒsterste Kapitel der jĂŒngeren Geschichte des altehrwĂŒrdigen Staates am Nil ohne Komplikationen weiter geschrieben werden kann, wĂ€hrend Wissenschaftler es schwer haben werden, ihre Seiten mit Quellen und Zitaten aus Ägypten zu fĂŒllen.

Schaufelt sich Mugabe durch Kooptation das eigene Grab? Eine Fallstudie zum VerhÀltnis von Kooptation und Repression in Simbabwe

Von Anne-Marie Parth, BA, ehemalige Praktikantin der Abteilung

In Zeiten, in denen es kein Böse und kein Gut mehr gibt, in denen die transatlantische Freundschaft fĂŒr ein wenig Informationsgewinn missbraucht wird und sich die vermeintlichen Bösewichte im Schafsfell tarnen, sehnt man sich nach dem eindeutig Bösen, das keine diplomatischen Graustufen erfordert. Robert Mugabe, der PrĂ€sident Simbabwes, scheint sowohl die verdĂ€chtige Bartbreite zu besitzen als auch die notwendige Gewalt anzuwenden, um das neue, allseits akzeptierte Feindbild abzugeben. Weiterlesen