Gerade zu Wahlkampfzeiten hat die These von der Personalisierung der Politik Hochkonjunktur. Ihr zufolge
- findet das politische Personal stärkere Beachtung als politische Inhalte und Parteibewertungen,
- sind Bewertungen privater oder persönlicher Charakteristika der Bewerber um den Kanzlerposten relevanter als dezidiert politische Eigenschaften und
- ist dies ein in den vergangenen Jahren stärker werdender Trend.
Dem steht ein wissenschaftlicher Diskurs gegenüber, der wiederholt darauf hinweist, dass für die individuelle Wahlentscheidung Parteibewertungen relevanter als die Beurteilungen der Kanzlerkandidat(inn)en seien. Niemand stellt jedoch in Abrede, dass Letztere eine Rolle spielen (z.B. hier nachzulesen). Die Frage aber ist: wie stark ist der Einfluss der Bewertung der Kanidat(inn)en wirklich?
Um dies zu bestimmen, können Simulationsergebnisse genutzt werden. (Eine längere Version dieses Beitrags gibt es in ARGUMENTE 2/13, ->pdf) Dazu benutzen wir die Daten der German Longitudinal Election Study (GLES, Nachwahlquerschnitt) aus dem Jahr 2009. In einem ersten Schritt berechnen wir ein Modell, in dem wir die berichtete Stimmabgabe der Befragten durch ihre Parteineigung, die wahrgenommene ideologische Distanz zwischen dem Wähler/der Wählerin und der jeweiligen Partei sowie die generalisierten Partei- und Kandidat(inn)enbewertungen erklären. Wir erhalten so für alle Befragten die „wahrscheinlichste Wahlentscheidung“. Mit diesen modellhaft angenommenen Wahlentscheidungen lässt sich ein theoretisches Wahlergebnis ermitteln.
Abbildung 1: Stimmanteile der im Bundestag vertretenen Parteien – Modellvorhersage und tatsächliches Ergebnis ((http://www.bundeswahlleiter.de/de/bundestagswahlen/BTW_BUND_09/ergebnisse/bundesergebnisse/))
Der Vergleich des realen Wahlergebnisses der Bundestagswahl 2009 (erste Säulen, lila) mit der theoretischen Vorhersage unseres Modells (zweite Säulen, blau) ergibt für die SPD, die Grünen und die Linke relativ geringe Abweichungen von unter 1,5 Prozentpunkten. Der Zweitstimmenanteil der Union wird jedoch überschätzt, der der FDP dagegen unterschätzt, was auf strategisches Stimmverhalten von Wähler(inne)n hindeutet, die unserem Modell zufolge eigentlich für die Unionsparteien hätten stimmen müssen, ihr Kreuz doch letztlich beim Wunschkoalitionspartner machten. Sie haben strategisch gewählt, also ihren Wunschkoalitionspartner gestärkt und nicht ihre erste Parteipräferenz gewählt (vgl. Weßels und Wagner 2011 ((Weßels, Bernhard/Wagner, Aiko (2011): “Regionale Differenzierung des Wahlverhaltens”. In: Hans Rattinger/Sigrid Roßteutscher/Rüdiger Schmitt-Beck/Bernhard Weßels (Hg.): Zwischen Langeweile und Extremen. Die Bundestagswahl 2009. Wahlen in Deutschland, Bd. 1. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft, S. 119-129.))). Obwohl Wahlentscheidungen durch viele weitere Faktoren beeinflusst werden, können wir diese durchaus passablen Vorhersagen unseres Modells für eine kleine Simulation verwenden.
Dazu haben wir ermittelt, wie sich das Wahlergebnis verändert hätte, wenn der SPD-Herausforderer Frank-Walter Steinmeier 2009 so populär wie die Kanzlerin Angela Merkel gewesen wäre und Merkel umgekehrt wie der damalige SPD-Spitzenmann bewertet worden wäre. Bekanntermaßen wurde Merkel 2009 sowohl absolut als auch im Vergleich zum Herausforderer sehr gut bewertet (7,1 Punkte für Merkel im Vergleich zu 6,3 Punkten für Steinmeier auf einer Skala von 1 bis 11). Tauscht man nun also diese Einschätzungen aus, nimmt man also einmal an, die Merkelbewertungen hätten Steinmeier gegolten und umgekehrt, ergibt sich das Wahlergebnis der roten Säulen. (Die Grenzen dieser Simulation sollten jedoch beachtet werden: So wird nicht analysiert, welche Auswirkungen die Kandidat(inn)enbewertungen auf andere Faktoren haben können, beispielsweise auf die Passung von Kandidat(in) und Partei oder die Mobilisierung.)
Abbildung 2: Modellierte Stimmanteile der im Bundestag vertretenen Parteien
Wie aufgrund der nun im Mittel niedrigeren Bewertung ihrer Kandidatin zu erwarten war, hätten die Unionsparteien wohl etwa zwei Prozentpunkte weniger Zweitstimmen erhalten als in der Modellvorhersage für die Bundestagswahl 2009. Allerdings hätte die SPD davon und durch den nun beliebter simulierten Spitzenkandidaten kaum profitiert: die Abweichungen bewegen sich lediglich im Nachkommabereich.
Was bedeuten diese Ergebnisse für die anstehende Bundestagswahl? Nach dem ARD-DeutschlandTREND vom August 2013 sind 67 Prozent der Bundesbürgerinnen und Bundesbürger mit der politischen Arbeit der Kanzlerin sehr zufrieden oder zufrieden, 32 Prozent weniger oder gar nicht zufrieden. Für den Herausforderer Peer Steinbrück lauten die Zahlen 35 zu 60 ((http://www.infratest-dimap.de/umfragen-analysen/bundesweit/ard-deutschlandtrend/2013/august/)). Diese Salden (+35 bei Merkel und -25 bei Steinbrück) wurden wiederum als Kenngrößen im obigen Modell in einer zweiten Simulation verwendet (siehe letzte Säulen, grün). Natürlich sollte beachtet werden, dass 2013 nicht 2009 ist und sich demnach selbstredend nicht nur die Bewertungen der Kandidat(inn)en der beiden großen Parteien geändert haben. Diese Simulation ist daher nicht als Prognose für den Wahlausgang, sondern lediglich als Gedankenexperiment zu verstehen. Sie sagt uns, wie sich die Kräfteverhältnisse 2009 dargestellt hätten, wenn der SPD-Kandidat so beliebt gewesen wäre wie es momentan Steinbrück ist und wenn die Bewertung von Merkel der gegenwärtigen entsprochen hätte. Was erkennen wir nun? Wiederum ist der Unterschied nur marginal. Im Vergleich zur Vorhersage des Ursprungsmodells verliert die Union einen Prozentpunkt, die SPD erhielte weiterhin 23 Prozent, bei den anderen Parteien bewegt sich ebenfalls wenig oder gar nichts. Die Bundestagswahl 2009 wäre demnach mit den gegenwärtigen Kanzlerkandidat(inn)en ähnlich ausgegangen. Zwar können am Wahltag wenige Prozentpunkte durchaus entscheidend sein, aber auch für den 22. September 2013 ist nicht zu erwarten, dass der Wahlausgang nur durch das politische Personal bestimmt wird.
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